Wolf Erlbruch Wolf Erlbruch: Furchtlos wie Dürers Ritter
Halle/MZ. - Durch die eigenwillige Art, Gezeichnetes und Collagen auszuschneiden, es spielerisch zu Bildern zusammenzufügen, deren Prägnanz an japanische Holzschnitte erinnert und das Erzählte bündig macht, sind Erlbruchs Bücher einzigartig.
Wolf Erlbruch, der seit 1985 dreißig Kinderbücher illustriert und sich für acht davon auch die Geschichten ausgedacht hat, strebt den Idealfall an: dass Kinder und Erwachsene sich gemeinsam in seine Bücher vertiefen. Wie Koffer mit doppeltem Boden geben sie sowohl der kindlichen Phantasie als auch dem Denken der Erwachsenen Raum. Jüngere Büchernarren mögen Frau Meier, weil sie sich eines hilflosen Vogels annimmt; ältere erfahren durch sie, dass es leicht und frei machen kann, etwas weiter als vor die eigene Tür zu sehen.
"Leonard" erzählt den Kleinen, wie man seine Angst vor Hunden überwinden kann; Großen zeigt er, dass Kinder mit ihren Eindrücken anders umgehen als Erwachsene und dass sie gerade deshalb deren Verständnis brauchen. Kinder sehen und erleben all das Phantastische mit, was Fon sieht und erlebt, als er "Nachts" mit seinem Vater unterwegs ist; manchem Erwachsenen ist der nüchterne, nörgelnde Mann ein Spiegelbild.
Vor allem Erlbruchs Buch "Ente, Tod und Tulpe" sei Eltern und von ihnen den Kindern ans Herz gelegt. Poetisch in Wort und Bild erinnert es daran, dass unser Dasein endlich ist. Furchtlos wie Dürers Ritter, als er auf Tod und Teufel trifft, bleibt die Ente gelassen, als der Tod vor ihr steht. Zumal er lächelnd erklärt, wie Leben und Tod ineinanderspielen, und erkennen hilft, dass ein (Enten-)Leben, auch dann noch lebenswert sein kann. Ein Buch, das über Daseinsfragen aufklärt und die Gefühls- und Gedankenwelt von Kindern und Erwachsenen berührt.
Es folgt Intentionen, wie sie auch Karl Philipp Moritz hatte, dem Erlbruch sich geistig verwandt fühlt. Er hat dessen 1790 erschienenes "ABC-Buch", eine alphabetische Lese- und Denkschule für Kinder, neu illustriert und es damit näher ans Heute geholt. So ist es wieder ein Büchlein geworden, an dem sich die Innenwelt jüngerer wie älterer Leser entfalten kann. Wie Karl Philipp Moritz mit Sterblichkeit und Tod umgeht, mag ihm geholfen haben, den Grundtenor von "Ente, Tod und Tulpe" zu finden. "In Wort und Bild vorsichtig", sagt Erlbruch, "lassen sich auch Kinder an elementare Themen heranführen". Wie er diesem Anspruch gerecht wird, ist Büchern wie "Die große Frage" ablesbar, das Kindern mögliche Gründe dafür nennt, warum sie auf der Welt sind. Die unterschiedliche Sicht unterschiedlichster Menschen will sie reizen, selbst nach Antworten zu suchen. Auch dieses Buch hat eine Ebene für Erwachsene: Der im Stechschritt marschierende Soldat beispielsweise, der meint, man sei auf der Welt, um zu gehorchen, ist aus Städtebildern geschnitten. So lässt er an Welten zerstörende, sich auf Befehle berufende Krieger denken.
Sogar Goethes "Hexeneinmaleins", dem nur böse, auf Besen reitende Frauen etwas abgewinnen können, hat Erlbruch zu Illustrationen inspiriert. Und verblüfft registriert man, wie durch die humorigen, auch nachdenklichen Bilder im Unsinn plötzlich Sinn aufscheint.
Abgesehen von ihren aufklärerischen Geschichten, werden Erlbruch-Bücher ihrer individuellen Bildsprache wegen geliebt. Zumal die Figuren, von denen nicht wenige durch knollige Nasen und schlichte Brillen auffallen, etwas liebenswert Skurriles haben. Es sind durchweg eigensinnige Typen; von ihrem Schöpfer sparsam, aber augenfällig charakterisiert. Er verwendet dazu altes Kanzleipapier, Landkarten, Logarithmentafeln; er arbeitet mit Pinsel, Feder, Kreide oder Stempeln. Die Fähigkeit, dabei gekonnt mit Sinnbildern umzugehen, hat Wolf Erlbruch, der seit 1997 als Professor für Illustration an der Wuppertaler Universität lehrt, sich als international erfolgreicher Illustrator in der Werbebranche erarbeitet. Aber seit das erste von ihm illustrierte Kinderbuch erschien, sind auch etliche seiner Bücher, denen jede kindertümelnde Niedlichkeit abgeht, mit Preisen bedacht worden. Darunter der Gutenberg-Preis der Stadt Leipzig. Absoluter Bestseller ist die Geschichte "Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat" (Text: Werner Holzwarth). Das aufgebrachte Tier, das nicht ruht, ehe ihm Genugtuung geworden ist, fand 600 000 Freunde allein in Deutschland (das Buch wurde in zwanzig Sprachen übersetzt).
In Erlbruch, der im nächsten Jahr 60 wird, wohnt ein Kind. Dafür spricht neben der Vorliebe, Zimmerwände als Zeichenfläche zu nutzen, die ausgeprägte Zuneigung zu widerborstigen, zagen oder garstig anzusehenden Typen. Die Story um Kröte, Ratte, Fledermaus, Spinne und Hyäne jedenfalls, die so hässlich sind, dass alle "Die fürchterlichen Fünf" meiden, ist eine köstliche Lektüre, die Vorurteile abbaut: Wie sie auf ihr Äußeres pfeifen und sich auf ihre Stärken besinnen, hat seine Art! Wieder setzt Erlbruch - wie mit Herrn Meier - autobiografische Zeichen: Ein Tier spielt Saxophon wie er, ein anderes teilt seine Japan-Liebe.