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Wissenschaft Wissenschaft: Linguist Noam Chomsky wird 75 Jahre

Von Laszlo Trankovits 03.12.2003, 10:36
Noam Chomsky, Linguistik-Professor am Massachusetts Institute of Technology, hält auf der Buchmesse in Istanbul eine Ansprache, nachdem er von türkischen Verlegern mit dem Friedenspreis 2002 ausgezeichnet worden ist (Archivfoto vom 15.12.2002). Die graue Eminenz der amerikanischen Linken präsentiert zu seinem 75. Geburtstag am 07.12.2003 eine neue, flammende Anklage gegen den US-Imperialismus und die Macht der Konzerne. In seinem jüngsten Buch "Hybris", das in diesen Tagen in die deutschen Buchläden kommt, prangert der erbitterte Gegner des Irak-Kriegs mit gewohnter Schärfe die hegemonialen Ansprüche der einzig verblieben Supermacht an. (Foto: dpa)
Noam Chomsky, Linguistik-Professor am Massachusetts Institute of Technology, hält auf der Buchmesse in Istanbul eine Ansprache, nachdem er von türkischen Verlegern mit dem Friedenspreis 2002 ausgezeichnet worden ist (Archivfoto vom 15.12.2002). Die graue Eminenz der amerikanischen Linken präsentiert zu seinem 75. Geburtstag am 07.12.2003 eine neue, flammende Anklage gegen den US-Imperialismus und die Macht der Konzerne. In seinem jüngsten Buch "Hybris", das in diesen Tagen in die deutschen Buchläden kommt, prangert der erbitterte Gegner des Irak-Kriegs mit gewohnter Schärfe die hegemonialen Ansprüche der einzig verblieben Supermacht an. (Foto: dpa) EPA

Washington/dpa. - Die graue Eminenz der amerikanischen Linken, der Linguist Noam Chomsky, präsentiert zu seinem 75. Geburtstag am kommenden Sonntag (7.) eine neue, flammende Anklage gegen den US-Imperialismus und die Macht der Konzerne. In seinem jüngsten Buch «Hybris», das in diesen Tagen in die deutschen Buchläden kommt, prangert der erbitterte Gegner des Irak-Kriegs mit gewohnter Schärfe die hegemonialen Ansprüche der einzig verblieben Supermacht an.

Der hochangesehene Sprachwissenschaftler versucht nachzuweisen, dass Präsident George W. Bush keineswegs eine neue US-Politik kreiert hat. Aus Chomskys Sicht ringen die USA seit Jahrzehnten hemmungslos und Moral höchstens als Propaganda-Werkzeug nutzend um die uneingeschränkte Weltherrschaft. Der wirkliche «Schurkenstaat» der Moderne seien die USA selbst.

Chomsky lockt mit seinen Vorträgen und Vorlesungen fast so viele Menschen an wie der andere populäre amerikanische Kritiker der USA, der Filmemacher und Autor Michael Moore. Aber der renommierte jüdische Intellektuelle Chomsky übt dank seiner wissenschaftlichen Reputation eine besondere Anziehungskraft auf die zersplitterte Linke weltweit aus. Globalisierungsgegnern und Attac-Anhängern gilt er zunehmend als Galions- und Kultfigur.

Der ungemein produktive Professor am «Massachusetts Institute of Technology» (MIT) wird auch in seinem jüngsten Werk seinem Image gerecht: Für viele ist der - laut «New York Times» in den Human- und Gesellschaftswissenschaften derzeit meist zitierte noch lebende Forscher - ein Genie und «brillanter Held», so die indische Schriftstellerin Arundhati Roy.

Er habe mit seinem «anarchistischen, instinktiven Misstrauen gegenüber der Macht (...) das gefährliche, unbarmherzige Universum entlarvt, das sich hinter dem Wort Freiheit» verberge, so Roy. Chomsky habe belegt, dass «Freiheit» für die USA nur bedeute, «Völker zu töten und zu beherrschen (...), Diktatoren zu finanzieren und zu unterstützen, (...) Terroristen auszurüsten und zu schützen (...), Massenvernichtungswaffen zu bauen und einzusetzen, (...) gegen jedes Land Krieg zu führen, dessen Regierung ihr nicht passt.»

Nicht nur neokonservative Gegner sehen in Chomsky, der auch ein harscher Kritiker Israels ist, einen höchst widersprüchlichen Intellektuellen, der die Freiheit der US-Gesellschaft erfolgreich nutze, um sie als System des Finanzkapitals ohne echte Freiheit zu diffamieren. Zuweilen spricht Chomsky dann aber wieder von den USA als dem freisten Land, das es gebe.

Chomsky, der auch im hohen Alter noch unermüdlich schreibt, lehrt, Interviews gibt und Vorträge hält, imponiert nicht mit brillanter oder lauter Rhetorik, sondern mit kühler Sachlichkeit und vernichtender Analyse. Er will nicht bekehren, sondern informieren. Den Medien steht er höchst skeptisch gegenüber und sieht in ihnen Instrumente des Kapitals und der herrschenden politischen Klasse.

Obwohl vieles an marxistische Analyse erinnert, lehnt Chomsky Marx im Wesentlichen ab. Schon früh fühlte er sich verschiedenen anarchistischen Theoretikern verbunden. Heute propagiert er vage eine Demokratisierung der Wirtschaft und hofft auf die «zweite Supermacht» in der Welt neben den USA, die «öffentliche Weltmeinung».

An seinem wissenschaftlichen Rang gibt es trotz vieler Kritiker und Konkurrenten wenig Zweifel. Chomsky revolutionierte die Linguistik vor allem mit der noch immer umstrittenen Theorie, dass jeder Mensch eine angeborene Sprachfähigkeit - als eine Art Programm - habe. Demnach wäre Sprache weit weniger vom kulturellen Umfeld wie der Familie und Volksgruppe geprägt, sondern vorgegeben.

Seine Erkenntnisse wurden von Fachleuten als «kopernikanische Wende» für die Linguistik beschrieben. Chomskys «Generative Transformationsgrammatik» wurde nach den Gesetzen der Mathematik und der Logik geschaffen und besteht aus einem komplizierten Formelwerk aus Kürzeln und Gleichungen. Der Sohn eines aus der Ukraine eingewanderten jüdischen Hebräisch-Lehrers strebt immer noch eine «Universal-Grammatik» an, in der die Strukturformen aller existierenden Einzelsprachen enthalten sind.

Chomsky wurde am 7. Dezember 1928 in Philadelphia geboren. Er studierte Sprachwissenschaft, Mathematik und Philosophie in Philadelphia, wechselte danach an die Harvard University und legte 1955 seine Doktorprüfung an der University of Pennsylvania ab. Nach seiner Promotion lehrte er am MIT und bekam dort 1961 im Alter von nur 32 Jahren einen Lehrstuhl für Sprachwissenschaften.