Winfried Völlger Winfried Völlger: Zu neuen Ufern mit dem Saxophon
Halle (Saale)/MZ. - Ein WiedEin Wiedersehen mit Winfried Völlger nach 15 Jahren. Damals, im Januar 1997, wurde in der Galerie Marktschlösschen seine Ausstellung "Verwandlungen. Fossilien und Figuren" von Martin Weskott aus Katlenburg eröffnet. Völlger hatte sich vom Schreiben verabschiedet und Neues begonnen. Sein Hausverlag Hinstorff hatte ihm im Jahr 1993 seine nicht verkauften Bücher zurückgeschickt: 6.000 Exemplare, zwei Tonnen schwer. Immer noch besser als das Ende auf der Müllkippe.
Dabei war Winfried Völlger, 1947 in Halle geboren, ein bekannter, viel gelesener und hoch geachteter Autor im "Leseland" DDR. Auf das Manuskript seines Romans "Verwirrspiel" (1981) schrieb Hinstorffs Cheflektor Kurt Batt ein "Achtung!". Es folgten "Das Windhahn-Syndrom" (1983) "Offene Schlösser" (1987), "Partitur eines verlorenen Sieges" (1988), "Die weiße Katze" (1988) und "Wehrpflicht" (1990). Hinzu kamen etliche Kinderbücher, Essays und Arbeiten für den Rundfunk. Fast eine Million Exemplare seiner Bücher wurde bis zum Zusammenbruch des realen Sozialismus verkauft.
Immer vergingen zwischen dem Abschluss eines Manuskriptes und seiner Drucklegung Jahre. Völlger rang mit seinen Lektoren und den Zensoren der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel um jeden Satz, um jedes Wort. In den Wochen der friedlichen Revolution stand er in Halle in der ersten Reihe der Bürgerrechtler, aber das ist heute vergessen. Seine Texte zum Umbruch kann man in dem Band "Entfernung. Von der Schwierigkeit, ein Deutscher zu sein" (1991) nachlesen.
Völlgers Abschied vom Schreiben lässt sich genau datieren: Am 3. und 4. November 1994 entstand das Gedicht "Vorgezogenes Schweigen". Danach gab es 1997 noch drei Monate als Ehrengast in der römischen Villa Massimo. Völlger: "Das war keine gute Zeit." Kaum Kontakte zu den anderen Gästen; Rom blieb ihm damals fremd.
Der Autor besann sich auf in frühen Jahren erworbene künstlerische Fähigkeiten: Das plastische Gestalten und Zeichnen, das Musizieren. Völlger erzählt vom kunstsinnigen Elternhaus und davon, dass er Heinz Beberniß als Kind Modell stand: "Knabe mit Fohlen" steht im halleschen Hohen Weg und gehört der Martin-Luther-Universität. Winfried Völlger zersägte, zerschnitt seine Bücher und schuf Skulpturen: "Fall aus der Reihe", "Winner", "Letzte Leserin" und andere Plastiken entstanden.
Das war Trauerarbeit und ein Aufbruch zu neuen Ufern. Die "Letzte Leserin" ging im Juli als Dauerleihgabe zu Martin Weskott. Und Völlger hat sich endgültig von seiner "persönlichen Bücherhalde" getrennt, die letzten 5 000 Exemplare seines Werkes werden von Martin Weskott verkauft oder als Klassensätze an Gymnasien in Polen und Weißrussland gehen. Völlger: "Deutsch lernen anhand der ,Partitur eines verlorenen Sieges‘, das ist gar nicht so schlecht."
Völlger arbeitete als Honorardozent bei "Creativity for the Future Worldwide", Jahre des Studierens in Leipzig folgten. 2009 verteidigte er seine Bachelorarbeit über "Straßenmusik in Leipzig" und im Jahr 2011 beendete er sein Master-Studium mit einer Arbeit über "Sygyt", den Kehlgesang der Tuwinen in der Mongolei und in Sibirien. Gerade ist er von einer Reise nach Sibirien zurückgekehrt.
Das Wichtigste und Schönste aber: Winfried Völlger macht seit Jahren in Leipzig selber Straßenmusik! Er spielt brillant Saxophon und tritt oft zusammen mit Erik Knäschke, einem begnadeten Didgeridoo-Musiker, auf. Sein Blues verbindet sich mit dem Sound der Stadt, dem Passantengeplauder, den Schritten, dem Neun-Uhr-Geläute und den Geräuschen der Buslinie 89.
Dabei gibt es bewegende Begegnungen mit seinem Publikum. Völlger: "Ich spiele und sehe ein Punk-Mädchen, das ununterbrochen weint. Ich spreche sie an und sie sagt: ,Spiel' einfach weiter, so ist es gut!‘" Ein kleiner wahrer Moment. Heute wird Winfried Völlger 65 Jahre alt - herzlichen Glückwunsch!