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Wim Wenders berichtet von seinen Todeserfahrungen

21.11.2008, 09:02

Hamburg/dpa. - Wim Wenders (63) ist der Philosoph unter den deutschen Filmemachern. Seine Werke wie «Paris, Texas» oder «Himmel über Berlin» sind international vielfach ausgezeichnet worden. Wenders selbst ist ein begehrter Gast auf allen großen Festivals.

«Palermo Shooting» erlebte seine Uraufführung dieses Jahr in Cannes, wenige Monate später war Wenders Jury-Präsident in Venedig. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur dpa spricht der gebürtige Düsseldorfer über seinen neuen Film, über den Tod - und seine Erfahrung mit Drogenkeksen.

Es ist schwer, die Geschichte von «Palermo Shooting» kurz zusammenzufassen. Können Sie es dennoch versuchen?

Wim Wenders: «Dennis Hopper verkörpert den Tod und er sagt einen Satz, der trifft einen sehr, wenn man darüber nachdenkt: "Der Tod ist ein Pfeil, der aus der Zukunft auf dich zugeflogen kommt."»

Ihr Film ist voller bedeutungsschwerer Sätze. Ist das alles im Drehbuch gewesen oder ist viel beim Dreh entstanden?

Wenders: «Das war die große Leistung der Dreharbeiten, auch für uns selber rauszukriegen, was ist denn das mit dem Tod? Wie kommen wir darüber hinweg, dass der Tod nur als großer Feind da ist? Wie können wir den Tod anders zeigen? Dann ist der Tod nach und nach immer zärtlicher geworden und fast zu einer Bruderfigur. Man glaubt dem Tod, wenn er am Schluss selbst sagt: "Ich liebe das Leben mehr als alles andere. Ohne mich wüsstet ihr gar nicht, was ihr am Leben hättet."»

Haben sie auch schon eigene Todeserfahrungen gemacht?

Wenders: «Ich bin schon zweimal in meinem Leben "gestorben". Einmal als kleiner Junge, da bin ich mit meinem Vater immer am Wochenende über den Rhein geschwommen. Ich war vier oder fünf Jahre alt und hielt mich an seinen Schultern fest oder lag auf seinem Bauch. Einmal bin ich ihm runtergerutscht und untergegangen. Er hat nach mir getaucht und mich aus der Tiefe gerettet. Das zweite Mal hab ich als Filmstudent in Schwabing völlig unschuldig 20 spezielle Kekse verdrückt, die für eine Party gedacht waren, und von denen jeder höchstens nur einen essen sollte. Ich bin nun einmal das originale Cookie-Monster und bei dem Typ gab es einfach nichts anderes zu essen. Bin im Krankenhaus gelandet und hab gewusst, das war fast mein letztes Stündchen.»

Berlin, Lissabon, Los Angeles, Palermo - Sie lassen sich oft von Städten und Landschaften inspirieren. Fahren Sie denn immer mit dem Blick des Filmemachers durch die Gegend?

Wenders: «Das wäre verheerend, wenn man die ganze Welt als potenziellen Drehort sieht und immer diese Brille aufhätte. Es gibt Orte, zu denen ich sehr hingezogen bin, aber man kann in denen nicht immer einen Film machen. Besonders wird es dann, wenn sich das Feeling, das man an einem Ort kriegt, mit einer Geschichte trifft. In Berlin waren es die Engel überall an Häusern und Denkmälern, die sich mit meiner Idee zu "Himmel über Berlin" gekreuzt haben.»

Was hat in Palermo dieses besondere Gefühl ausgelöst?

Wenders: «Palermo hat eine Affinität zum Tod wie keine andere Stadt, die ich kenne. Das Fest des Todes wird dort so groß gefeiert wie bei uns Weihnachten. Und wenn man durch diese Stadt geht, sieht man eben keine Engelsfiguren wie in Berlin, sondern überall Totenköpfe. Das ist eine Stadt, wo man dem Tod auf eine andere Art begegnet und eben auch dem Leben anders begegnet. Die Stadt ist unheimlich lustig und lebenswillig und weiß sehr viel vom Tod.»

Ist Düsseldorf als Heimat des Fotografen dann der Ort der oberflächlichen Todesverdrängung?

Wenders: «Düsseldorf hat schon eine gewisse Partyaffinität. Das kann ich sagen, weil ich die Stadt heiß und innig liebe und weil ich daher komme. Düsseldorf ist eine Stadt, die verhältnismäßig oberflächlich ist.»

Wo ist jetzt Ihr Lebensmittelpunkt nach vielen Jahren in den USA?

Wenders: «Ich lebe seit einigen Jahren mehr in Berlin als in Amerika. Das liegt ein bisschen an der herben Enttäuschung in der Bush-Zeit und auch daran, dass ich ganz dringend wieder einen Film in Europa drehen wollte, nachdem ich seit 1992 keinen Spielfilm mehr hier gemacht habe. Eigentlich hatte ich nie vor, so lange wegzubleiben.»

Klare spirituelle Botschaften wie in «Palermo Shooting» finden sich nur noch selten in der Entertainment-Gesellschaft. Sind Sie damit ganz bewusst ein Risiko eingegangen?

Wenders: «Man kann das nur machen, wenn man eine Geschichte hat. Der Film hat ja Ähnlichkeit mit einem Thriller, es gibt auch Action- Szenen. Man kann in so einem Genre dann tausend Sachen miterzählen, aber man kann sie eben nur miterzählen. Man kann heute keinen Film über den Tod mehr machen wie "Das siebte Siegel" von Ingmar Bergman. Vielleicht wäre es das Gewagteste überhaupt, einen so ernsthaften Film über den Tod zu machen. Die Geschichte über den Fotografen, seinen Lifestyle und seinen Beruf - das alles dient der zentralen Frage: Kann man über den Tod heute eigentlich auch anders nachdenken als nur mit Angst?»

Warum haben Sie die Hauptrolle des Top-Fotografen mit dem Punk-Sänger Campino von den Toten Hosen besetzt?

Wenders: «Campino schreibt die Songs für die Toten Hosen. Und die Band hat in den letzten Jahren zwei, drei richtig gute Songs über den Tod gemacht. Dann steht man da in der Dortmunder Westfalenhalle und es singen 20 000 Menschen Lieder, die im Prinzip nur von den wichtigsten Dingen handeln - "Wofür man lebt" von den Toten Hosen ist so ein Song. Insofern hab ich im Rock' n' Roll durchaus Verbündete, um über solche Themen auch im Film nachzudenken. Und genau wie im Rock' n' Roll muss es auch im Kino den richtigen Drive haben, sonst kann man all die guten Texte völlig vergessen.»

Interview: Karin Zintz, dpa