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Wilhelm Busch Wilhelm Busch: Die bitteren Bubenstücke des deutschen Biedermeier

Von Andreas Hillger 08.01.2008, 17:57

Halle/MZ. - Dass er seine letzte Bildergeschichte "Maler Klecksel" fast ein Vierteljahrhundert zuvor veröffentlicht hatte, mag man als Ursache mangelnder Wahrnehmung bedauern. Es war aber zugleich die Folge eines kreativen Reibungsverlusts.

Tatsächlich wollte der Dichter und Zeichner in das 20. Jahrhundert nicht mehr recht passen. Der 1832 geborene Krämersohn aus Wiedensahl, der die Bildrechte an seinem Klassiker "Max und Moritz" für lächerliche 1 700 Goldmark verkaufte und auch später durch wirtschaftliches Ungeschick auffiel, war ein Nachkömmling des Biedermeier - der gallige, vom eigenen Scheitern verbitterte Schwarz-Weiß-Wandler der Spitzweg-Idylle.

Dabei war es nicht so, dass Busch den seriösen Ruhm nicht gewollt hätte: Mehrfach nahm er Anlauf zu einer akademischen Karriere, Malerfürsten wie Franz von Lenbach zählte er zu seinen Freunden - und doch blieb er für die Öffentlichkeit der Autor jener kleinen Bildgeschichten, deren ästhetischer Einfluss bis heute freilich nicht hoch genug zu schätzen ist. Die fromme Helene und der Heilige Antonius, Hans Huckebein und Balduin Bählamm sind Urahnen moderner Comic-Helden, zumal sie in oft anarchischen und am Ende zuverlässig tödlichen Abenteuern alles andere als politisch korrekt auftreten.

Die moderne Psychologie könnte einen ganzen Katalog von Erklärungsmustern für diesen misanthropischen Charakter anbieten, als Urgrund aber wird allgemein die Erziehung im protestantischen Pfarrhaus eines Onkels gesehen. Sie pflanzte dem Jungen neben einer Aversion gegen Bigotterie und Frömmelei auch einen drastischen Begriff von Pädagogik ein: Die gebackenen, geschroteten und von Geflügel weggepickten Lausbuben Max und Moritz, die im Rausch verbrannte Helene oder der von Missgunst hinweggeraffte Schlich liefern Lehrstücke für die Verbindung von Missetat und Strafe.

Dass Busch selbst ein armer Sünder war, der seinen Kummer gern im Alkohol ertränkte und den Tabakkonsum bis zur Nikotinvergiftung trieb, zählt zu seinen vielen Widersprüchen. Der eher unfreiwillige als überzeugte Junggeselle, der Trost bei Schopenhauer fand und in seinen Bilderfolgen gern mit erotischen Untertönen arbeitete, lieferte denn auch die Definition der Moral durch die Negation: "Das Gute, dieser Satz steht fest, / ist stets das Böse, was man lässt", zählt zu den vielen Spruchweisheiten, die Busch dem Stammbuch der Deutschen eingeschrieben hat.

Auch für die letzte Pointe seines Lebens sorgte Busch, der eine Zeitlang von einem Leben als Bienenzüchter in Brasilien geträumt hatte, selbst: Seine letzten Jahre verbrachte er als Kostgänger im Haushalt eines Neffen, der - natürlich! - ein protestantischer Pfarrer war. "Stets findet Überraschung statt / da wo man's nicht erwartet hat." Wie wahr, Herr Busch!