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Werner Schneyder Werner Schneyder: Neuer Anlauf im letzten Drittel

Von Steffen Könau 09.03.2001, 18:26

Halle/MZ. - Eine Badewanne muss sein, kein Weg führt daran vorbei. Wenn Werner Schneyder, 64 Jahre alt und kein bisschen kleiner als 1,96 Meter, auf Lesetournee geht, dann bittet er sich in der Regel nur das eine aus: Eine Badewanne im Hotel, bittschön. Sonst ist der Schneyder ein genügsamer Mann. Keine Stadtführung mag er haben und kein einheimisches Fläschchen Grauburgunder, nicht einmal geschenkt.

Werner Schneyder, einer der großen Charakterköpfe des deutschen Kabarett, hat seine Prinzipien: Keine Comedy, keine Dusche und in einem Monat von zwölfen im Jahr nicht ein Schlückchen Wein. Der Lese-Form des amüsanten Plauderers aus Österreich tat die Abstinenz am Donnerstag im halleschen "Haus des Buches" keinen Abbruch. Im dunkelblauen Anzug, das Haar wie gewohnt zur Bürste aufgereckt, gelingt es Schneyder auf Anhieb, den prallvollen Saal in den Bann zu ziehen mit seinen Geschichten um Wendepunkte im Leben, hinter denen ewig die Ungewissheit lauert, was geworden wäre, hätte man sich vielleicht doch anders entschieden.

Um Gabelungen an Lebenswegen geht es ihm immer in seinem neuen Bändchen "Karrieren oder Das letzte Drittel entscheidet". Und um Sport zumeist. "Ich halte Sport für ein wunderbares Brennglas, gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungen zu beobachten", erzählt er, der zuletzt vor allem bei Boxkämpfen als Ringkommentator im Privatfernsehen von sich reden machte. Von wegen Künstler! Sport, seit seinen frühen Tagen als Lokalreporter das Steckenpferd des studierten Kunstgeschichtlers, taucht als Motiv immer wieder auf.

Mit Wiener Schmäh und dem sanften Humor des geübten Beobachters, der schildert, statt sich lustig zu machen, entwirft der Weggefährte von Kabarett-Altmeister Dieter Hildebrandt stimmige Geschichten aus dem wahren Leben, die oft nach Schmunzeln schreien und nur selten nach brüllendem Lachen. Der alte Eishockeyspieler etwa, der einen ehemaligen Mannschaftskameraden trifft und nur Neid empfinden kann, weil der Karriere als Architekt gemacht hat. Der könnte, so Schneyders These, ebensogut auch ein Architekt sein, der einem Eishockeyspieler nach langer Zeit wieder begegnet und sich ärgert, dass er damals nicht selbst den Profivertrag unterschrieben hat.

Schneyders Figuren sind aus Fleisch und Blut. Nicht die Draufsicht auf das große Ganze interessiert ihn noch in seinem eigenen letzten Drittel, sondern der genaue Blick von unten, der Motivationen freilegt und Brüche zeigt. Manchmal ist das traurig, manchmal komisch, manchmal politisch und manchmal persönlich. Effekthascherei aber ist Werner Schneyders Sache nicht. Er liest, dass die Luft flirrt vor Wahrhaftigkeit und es still wird im Parkett. Als er dann geht, sieht er zufrieden aus. Wenn er so weitermacht, werden ihn die Leute doch nicht als Boxkommentator in Erinnerung behalten. Noch ist alles drin. Das letzte Drittel entscheidet. Aber erstmal wartet die Badewanne.