Werner Klemke Werner Klemke: Held mit dreister Feder

Berlin - Wahrscheinlich gab es zu DDR-Zeiten kein Kind, das nicht die von Werner Klemke illustrierten Grimm- und Andersen-Märchen griffbereit im Regal stehen hatte, gewiss auch den „Hirsch Heinrich“. Oder, wenn man etwas älter war, Grimmelshausen, E. T. A. Hoffmann, Kleist, Kästner, Morgenstern, Brecht, Homer, Shaw, Faulkner, Diderot, Balzac, Voltaire.
Es gab in der DDR wohl auch keinen Erwachsenen, der den Klemkeschen Kater auf dem Einband des begehrten, monatlich erscheinenden Magazins nicht mochte und, sofern im Besitz eines der begehrten Abonnements, die Hefte sammelte.
Klemke wollte im Alter so gern noch den Franzosen Rabelais, diesen französischen Wortmeister aus der Renaissance, illustrieren. Dafür aber war ihm keine Zeit mehr geblieben. Vor 20 Jahren starb mit 77 Jahren das espritgeladene Berliner Zeichner-Original aus der Weißenseer Tassostraße 21. Dort, wo die Tische immer - prophylaktisch - für viele Besucher eingedeckt waren, so, als erwarte der schon frühmorgens elegant Gekleidete, stets Fliege tragende Künstler andauernd Gäste.
Und die ließen selten auf sich warten, die Buchkunstliebhaber, die befreundeten Drucker, die Studenten, die er an der Akademie der Künste mit Großmut unterwies. Dazu die vielen Kinder - Freunde seiner Enkel, die durchs Wohnzimmer und das sich anschließende Atelier tobten, deren Spielzeug in sämtlichen Werkstattkästen fröhlich herumlag und die ihre Sommerferien gar in seinem Häuschen in Vitte auf Hiddensee verbringen durften.
Treffpunkt Antiquariat
Was aber keiner wusste, war, dass dieser begnadete Buchkünstler und Entwerfer von Plattencovern, Briefmarken, Bühnenbildern, Postkarten, Plakaten und Exlibris, dieser ambitionierte Gastgeber einst, als junger Wehrmachtssoldat im Zweiten Weltkrieg in Holland, NS-Verfolgte gerettet hat. Klemke kam, wie erst jetzt durch niederländische Nachkommen der Betroffenen und durch die Bussumer Filmemacherin Annet Betsalel sowie den Berliner Buchdrucker, Bibliophilie-Sammler und Autoren Martin Z. Schröder, bekannt wurde, 1942 im Amsterdamer Antiquariat „Erasmus“ zum holländischen Widerstand. Der Buchladen war ein gut getarnter Treff deutscher Soldaten, die sich gegen das NS-Regime stellten. Dort traf Klemke zuerst den deutschen Kameraden und Fotografen Johannes Gerhardt sowie Evie de Jong-van Perlstein und deren Partner Mels de Jong. Sie wurden Freunde. Klemke half, womit er es am Besten vermochte: Der Gebrauchsgrafiker fälschte Dokumente, verschaffte zunächst dem von Deportation bedrohten jüdischen Handelsunternehmer Sam Perlstein, prominentes Mitglied der jüdischen Gemeinde Bussum, einen arischen Vater sowie Dokumente für drei arische Großeltern. Klemke zinkte perfekt Taufscheine, Heiratsurkunden und Papiere eines Anthropologieprofessors.
Perlstein und Familie durften Monate später den gelben Stern ablegen, sich wieder frei bewegen. Danach gelang es dem Geretteten, Verstecke in Dutzenden Häusern in der Region einzurichten. Klemkes grafisches Genie sorgte auch für Lebensmittelkarten, so dass um die 300 Juden im Versteck überleben konnten.
Eine Enkelin Perlsteins hatte vor mehr als drei Jahren Kontakt mit der engagierten Filmemacherin Annet Betsalel aufgenommen, ihr Fotos und Schriften übergeben, in denen ihr Großvater Mels de Jong von der Courage der beiden deutschen Soldaten Klemke und Gerhardt berichtet, auch von deren gescheitertem Versuch, aus der Hitler-Armee zu desertieren. Klemkes Freund Gerhardt war 1944 nach der Schlacht von Arnhem gefallen. Die holländischen Freunde fürchteten nun um Klemkes Leben und bereiteten seine Flucht vor, doch eine SS-Streife kam im letzten Moment dazwischen. Im Mai 1945 war Werner Klemke als Kriegsgefangener einer Kapitulationsgruppe nach Ostfriesland deportiert worden. Eine Beglaubigung Mel de Jongs, die gegenüber den Alliierten Klemkes Wirken im holländischen Widerstand bestätigen konnte, hat er nie benutzt. Im Sommer 1946 kam er nach Berlin zurück. Sein erstes illustriertes - handgeschriebenes - Buch hieß „Die Bremer Stadtmusikanten“.
Projekt sucht Sponsoren
Die Niederländerin Annet Betsalel dreht gerade ihren Film über den stillen Helden fertig, zumeist selbst finanziert: Die Pirckheimer-Gesellschaft, deren Mitglied Klemke war, hat etwas Geld beigesteuert. Noch aber braucht das Projekt weitere Sponsoren, um die Geschichte zu Ende zu erzählen.
Werner Klemkes Enkeltochter Karoline Klemke sagte am Telefon, der Opa habe lediglich mal erzählt, er hätte, damals in Holland, „einfach nur als Grafiker“ gehandelt. Für die „anderen, ernsten Sachen“ im gefährlichen Widerstand sei er doch „viel zu albern“ gewesen.
