Weimar Weimar: Schillers Sarkophag ist nun leer

Weimar/dpa. - «Wir haben die Wahrheit herausgefunden», sagte der Präsident derKlassik Stiftung Weimar, Hellmut Seemann, dem Nachrichtenmagazin «DerSpiegel». Stiftungssprecherin Julia Glesner sagte der DeutschenPresse Agentur dpa: «Die DNA-Analyse hat zweifelsfrei geklärt, dasses sich nicht um den Schädel des Dichters handelt.» Das Erbgut desvermeintlichen Schiller-Schädels war mit der DNA der engstenVerwandten des Dichters verglichen worden.
Die Klassik Stiftung stand nun vor dem Problem, wie sie damitumgeht, dass im Sarg nicht der Kopf des genialen Denkers liegt,sondern der eines Unbekannten. Sie hat sich für die Wahrheitentschieden. Man könne nicht «jährlich 60 000 Menschen in derFürstengruft vor einen Gegenstand treten lassen, der nichts mitSchiller zu tun hat», sagte Seemann am Samstagabend im MDR Fernsehenzur Ausstrahlung der 90-minütigen Dokumentation «Der Friedrich-Schiller-Code». Die Klassik Stiftung und das MDR-LandesfunkhausThüringen hatten das interdisziplinäre Wissenschaftsprojekt imOktober 2006 begonnen.
Es hatte zuvor auch kritische Stimmen gegeben, die gewarnt hatten,die Totenruhe des in Weimar gestorbenen Dichters nochmals zu stören.Die Aura des Geheimnisvollen müsse nicht unbedingt neuenwissenschaftlichen Methoden geopfert werden, hieß es. Zumal es kurzzuvor in Österreich nach vergleichenden DNA-Untersuchungen mit demfast als Reliquie angebeteten angeblichen Schädel von WolfgangAmadeus Mozart eine herbe Enttäuschung gegeben hatte: Die Frage derEchtheit war nicht zu klären. Jetzt ist auch Weimar um eine Illusionärmer. Der MDR hatte die aufwendigen DNA-Analysen in Auftrag gegeben,die von renommierten Instituten in Jena, Innsbruck und in den USAvorgenommen wurden. Das am Samstag verkündete Ergebnis: «Demnachstammt die DNA vom Schädel aus dem Sarkophag der Fürstengruft wederin der weiblichen noch in der männlichen Linie der Schiller-Familiemit den Vergleichspersonen überein.»
Friedrich Schiller war 1805 zunächst im Weimarer Kassengewölbe ineinem Massengrab für angesehene Persönlichkeiten bestattet worden,die kein Familiengrab hatten. 21 Jahre nach seinem Tod wurde derVersuch unternommen, unter der Vielzahl von Toten die sterblichenÜberreste des Dichters von «Wilhelm Tell» und «Die Räuber» zu bergen.In dem Gewölbe herrschte ein «Chaos von Moder und Fäulnis» bemerkteBürgermeister Carl Leberecht Schwabe nach seinen Bemühungen, dieGebeine Schillers anhand der Totenmaske zu identifizieren. ImSeptember 1827 wurden sie in der neuen Fürstengruft neben denAngehörigen der Herzogfamilie beigesetzt. 1832 folgte seinDichterfreund Johann Wolfgang Goethe.
Fast 100 Jahre später, im Jahr 1911, wurde im Kassengewölbe einzweiter Schädel geborgen und Schiller zugeordnet. Seitdem hat dieFrage um die Echtheit der Schädel den Streit unter Wissenschaftlernimmer wieder neu aufflammen lassen. Die jetzige DNA-Analyse brachteallerdings einen kleinen Erfolg. Der zweite Schädel gehörte einerFrau. Nach Ansicht des Forscherteams wahrscheinlich Luise vonGöchhausen, der Hofdame von Herzogin Anna Amalia. Der verwachsenenund blitzgescheiten Göchhausen verdankt die Literatur den Erhalt vonGoethes «Urfaust». Bei den Untersuchungen stießen die Forscher nochauf einen dritten Schädel. Dieser konnte als der von Ernst August vonSachsen-Weimar-Eisenach identifiziert werden.
Der Berliner Anthropologe Herbert Ullrich hatte 1959 den im Sargliegenden Schädel als echt benannt. Zwei Jahre später kam derMoskauer Anthropologe und Archäologe Mikail Gerassimov nach einerGesichtsrekonstruktion zu dem gleichen Schluss. Mit ihren damaligenMöglichkeiten lagen sie gar nicht so falsch. Auch das heutigeForscherteam ging zuerst von der Echtheit des Schiller-Schädels imSarkophag aus - zu groß waren die Übereinstimmungen des Kopfes mitTotenmaske, Gemälden und Büsten. «Ist hier ein wirklicherDoppelgänger im Spiel?», lautete eine ihrer unbeantworteten Fragen.Untersucht wurden jetzt neben den beiden vermeintlichen Schiller-Schädeln unter anderem DNA-Material der in Meiningen beerdigtenälteren Schwester sowie Schillers ältesten Sohnes Carl und seinesEnkels Friedrich in Stuttgart.
Eine Absage hatten die Klassik Stiftung und der MDR in Gerlingen(Baden-Württemberg) erhalten, wo Schillers jüngste Schwester und seinVater liegen. Pfarrer Wilfried Braun hatte das Nein zur Exhumierungdamit begründet, dass die Totenruhe höher zu bewerten sei alswissenschaftliche Zwecke. Hellmut Seemann hatte 2006 zum Auftakt nochscherzhaft erklärt: «Der unangenehmste Fall wäre es, wenn beideSchädel von Schiller stammen. Es ist aber ein Unterschied, ob manetwas nicht wissen kann, oder ob man es nicht klären möchte.»Schließlich ginge es nicht um einen religiösen Gegenstand, sondern umKörper und Schädel eines der bedeutendsten Dichter der deutschenSprache.
Dem MDR in Thüringen sagte Stiftungspräsident Seemann, er vermutejetzt, dass sich die sterblichen Überreste von Schiller auf demJacobsfriedhof in Weimar befinden könnten, wo der Dichter 1805 imKassengewölbe beigesetzt worden war. Dort nach dem echten Schiller-Schädel zu suchen, halte er für möglich. Allerdings würde er einemsolchen Projekt «nicht die Hand reichen».