1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Weimar: Weimar: Goethe kniff vor Napoleon

Weimar Weimar: Goethe kniff vor Napoleon

Von Antje Lauschner 22.09.2006, 07:59
In der neuen Sonderausstellung des Stadtmuseums in Weimar sind am Donnerstag (21.09.2006) Ölgemälde zu sehen, die Johann Wolfgang von Goethe und Christiane von Goethe, geb. Vulpius zeigen. (Foto: dpa)
In der neuen Sonderausstellung des Stadtmuseums in Weimar sind am Donnerstag (21.09.2006) Ölgemälde zu sehen, die Johann Wolfgang von Goethe und Christiane von Goethe, geb. Vulpius zeigen. (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

Weimar/dpa. - Überliefert ist, dass sich seine langjährigeLebensgefährtin Christiane Vulpius und Mutter seines Sohnes Augustschützend vor ihn stellt. Wenige Tage später heiratet er Christiane.Überliefert ist auch ein kaum zu entziffernder Zettel Goethes, den erin großer Eile an seinen Ministerkollegen Christian Gottlob von Voigtschrieb: «In dem schrecklichen Augenblicke ergreift mich mein altesUebel. Enschuldigen Sie mein Aussenbleiben.» Er sei kaum in der Lage,das Billett zu schreiben.

Goethe kneift so vor einem Antrittsbesuch mit Napoleon Bonaparte,der nach der siegreichen Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt mitseinen Truppen in Weimar eingezogen ist. Zu lesen ist der vergilbteZettel, der im Staatsarchiv Weimar aufbewahrt wird, seit Freitag inder ersten Sonderschau «Zerstörung und Verstörung» deswiedereröffneten Stadtmuseums Weimar. Jens Rieder, Leiter desStadtarchivs in Weimar, sieht in den Zeilen ein Zeichen tiefsterZerstörung bei Goethe.

So wie ihm ist es wohl vielen Weimarern gegangen, die bis zu60 000 Soldaten ertragen und verköstigen mussten. «Wir wollen in derAusstellung nicht die Schlachten nachstellen, sondern die zivileKatastrophe und kulturelle Krise, die die Besatzung Weimar brachte.Egal, wer sich auf dem Felde der Ehre schlägt, die Bevölkerung istimmer der Verlierer», sagt Museumsleiter Alf Rößner.

Von der Klassik Stiftung Weimar, aus Archiven und vielen privatenLeihgebern kommen die Dokumente und originalen Exponate, die von Notund Elend zeugen. Darunter sind solche Kostbarkeiten wie eineTuschezeichnung von Theodor Goetz zum ersten Gefecht mitfranzösischen Elitetruppen an der Stadtgrenze Weimars. Zu sehen sindbis zum 26. November originale Löscheimer aus Leder und Leinen,Kanonen- sowie Kartätschenkugeln, die im Hohlraum bereits Nägel undMetallstücke enthielten, um bei der Explosion grässliche Wunden zuerzeugen.

Im Gegensatz zu dem großen Versorgungstross der preußischenTruppen zieht Napoleons Armee ohne hintere Einheiten durchs Land. Siekann so bis zu 50 Kilometer am Tag vorstoßen und den Feindüberrumpeln, erzählt Rieder. Essen, Trinken, Unterkunft - all dasholen sie sich von der Zivilbevölkerung. «Bis zu Übergriffen,Plünderungen und Vergewaltigungen ist es dann nicht mehr weit.» EinJahr darauf registriert das Kirchenbuch ein großen Anstiegunehelicher Geburten.

Amtliche Veröffentlichungen und das Totenbuch des TotengräbersBielke geben Hinweise auf die Suche verzweifelter Eltern nach ihrenhalberwachsenen Mädchen, auf Tote und Fehlgeburten durch dieAnspannung. Auch Georg Melchior Kraus, erster Direktor der WeimarerMalerschule und zeichnerischer Chronist der Weimarer Klassik,überlebt den Franzoseneinmarsch nicht. Der Dichter Johannes DanielFalk, bekannt durch das Weihnachtslied «O du fröhliche», borgt sichbei der Familie Goethe Laken aus, um Hilfsbedürftige zu pflegen.Später wird er eines der ersten Waisenhäuser gründen.

Die Ausstellung berichtet auch von einer anderen mutigen Frau:Herzogin Louise empfängt in Vertretung ihres im Feld weilendenMannes, Herzog Carl August, Kaiser Napoleon. Durch ihr mutigesEintreten kann sie ihn davon abhalten, Weimar zu zerstören und dasWeimarer Herzogtum zu zerschlagen. Der «Louisen-Mythos» mit realemHintergrund hilft den Weimarern bei der Bewältigung der Jahre bis zumAbzug der Besatzer 1813. Hans W. Schmidt hat dieses EreignisJahrzehnte später in einem Historienbild festgehalten.