Wassily Kandinsky Wassily Kandinsky: Russischer Künstler mit Spuren in Dessau

Dessau - In den 90er Jahren wollte man es wissen. Denkmalpfleger rückten ins vormalige Dessauer Wohnzimmer von Wassily und Nina Kandinsky vor, um in einer Nische die Tapeten der Nachmieter zu lösen.
Siehe da: Nach wenigen Schichten wurde etwas Schwarzes, dabei leicht Glänzendes sichtbar - oxydierte Reste von hauchdünnem Metall. Es war wahr: Die an sakrale russische Architekturen erinnernde Goldnische im Meisterhaus Kandinsky hatte es tatsächlich gegeben. Es war greifbar: das Gold der frühen Jahre.
Das von Wassily Kandinsky von 1926 bis 1933 bewohnte Haus gehörte zu den buntesten Quartieren der Bauhaus-Dozenten. Der Künstler, der am vierten Dezember vor 150 Jahren (nach damals in Russland gültigem julianischem Kalender, in gregorianischer Lesart am 16. Dezember) in Moskau geboren wurde, behauptete auch in seiner Dienstwohnung Eigensinn.
Der Wohnraum war hellrosa, das Arbeitszimmer hellgelb, das Gästezimmer hellgrau gestrichen. Auf den Regalen drängten sich russische und chinesische Keramikfiguren, Dosen, Krüge - und Ikonen.
Wassily Kandinsky: Auch eine Linie ist ein Ding
Russland trug Kandinsky immer bei sich. 1866 als Sohn eines vermögenden Teehändlers geboren, wächst er in der mythisch und mystisch aufgeladenen alten Hauptstadt auf.
Die Mutter ist eine Moskauerin, die Familie des Vaters, die ihren Stammbaum bis auf die mongolischen Khane zurückführt, stammt aus Ostsibirien. 1871 siedeln die Kandinskys nach Odessa über, aber die Geburtsstadt bleibt für den Künstler „meine malerische Stimmgabel“.
Das Bauhaus feiert an diesem Wochenende 90 Jahre Bauhausgebäude und Grundsteinlegung für das Bauhausmuseum in Dessau.
Samstag, ab 19 Uhr: staging the bauhaus VI, Da Da Dance,
Tanzperformance auf der Bauhausbühne. 20.15 Uhr Präsentation der Zeitschrift Bauhaus 8 in der Aula. 21 Uhr Bauhaus-Café: Bauhaus Eröffnung 1926, Filmprogramm und Lesung. 21.30 Uhr
Filmprogramm in der Aula,
Lesung im Nordraum. 22.30 Uhr
Bauhausbühne: Leonie singt
Sonntag, ab 10 Uhr: Festreden von Helmuth Lethen, Greg Castillo und Kathleen James-Chakraborty. 13.15 Uhr Spaziergang der Objekte vom Bauhausgebäude zum Baufeld des Museums. 13.30 Uhr Jazz und Grundstücksteinlegung. Danach Performance von Ellen Kobe aus Berlin.
Als Jurastudent erlebt Kandinsky die Stadt als ein großes synästhetisches Zusammenspiel von Bildern, Klängen, Düften, „eine Symphonie, die jede Farbe zum höchsten Leben bringt“.
Die Begegnung mit der Malerei von Rembrandt und Monet sowie mit der Musik von Wagner bringt diese Lebens-Symphonie zum Klingen. Von 1896 an studiert Kandinsky in München Malerei.
Impressionistisch, fantastisch, altrussisch inspiriert: Das sind die Arbeiten der frühen Jahre. 1904 bricht der verheiratete Künstler gemeinsam mit der Malerin Gabriele Münter zu einer vierjährigen Wanderschaft auf, die bis nach Tunesien führt.
Wassily Kandinsky: Abstraktion mit realistischer Komponente
Alles will er mit „neuen Augen“ sehen. Auch den Expressionismus, zu dem er in Murnau Kontakt aufnimmt. Dass Kandinsky mit der 1913 auf 1910 vordatierten Aquarellstudie zu „Komposition VII“ das erste abstrakte Bild überhaupt geschaffen haben soll, ist indes ein hartnäckiges Gerücht.
Und eine von Kandinsky selbst gepflegte Legende. Er war nicht der erste, aber der prominenteste Wegbereiter der Abstraktion, die er - nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Moskau - mit neuer Frau von 1922 an am Bauhaus in Weimar betrieb.
Dabei hat Kandinskys Abstraktion immer auch eine sinnfällige, sozusagen „realistische“ Komponente. Eine einfache Linie ist für ihn genauso ein „Ding“ wie ein beliebiger Gegenstand. Er ist ein Eidetiker, jemand, der Wahrnehmungen in plastischer Deutlichkeit im Gedächtnis speichern kann. Hinzu kommt das synästhetische Vermögen, Farben Töne zuzuordnen. Kandinsky hört und fühlt Farben. Er geht durch eine klingende Welt.
Wassily Kandinsky:Größte Schaffenszeit in Dessau
Zu der gehört von 1925 an Dessau, durch dessen fürstliche Gärten er gemeinsam mit dem Malerfreund Paul Klee streift. Es ist die um 27 Jahre jünger Ehefrau Nina, die den Bauplatz für die Meisterhäuser vorschlägt.
Nie wieder, notiert Nina, sei Kandinsky so schöpferisch gewesen wie in Dessau: 289 Aquarelle und 259 Bilder zählt sie. Wie kein zweiter Bauhausmeister engagiert sich Kandinsky schul- und stadtpolitisch.
Er, der stellvertretende Bauhaus-Chef, ist es, der die Kontakte zum Bürgertum pflegt, der Bühnenbilder entwirft, Konzerte besucht, seine Werke ausstellt. Er übersetzt die Interessen der Bauhäusler für die Stadt.
Wassily Kandinsky: Der Meister erfindet sich neu
Damit ist es 1933 vorbei. Im Dezember reisen die Kandinskys nach Paris, wie sich schnell zeigt, für immer. Noch einmal erfindet sich der Meister neu. Von der geometrischen weg wendet er sich der figürlichen Abstraktion zu. Alles wird leichter, heiterer, fast humorvoll.
Er streicht das Deutsche aus seiner Existenz. Seinen Werken gibt er französische Titel, seinen Vornamen schreibt er mit V statt mit W. Den Bauhaus-Ruhm hat er hinter sich gelassen, als er 1944 im Alter von 77 Jahren stirbt.
Kandinsky: Russe, Gentleman, Großkünstler. „Er war sehr bestimmend“, berichtet Gunta Stölzl. „Was er sagte, war immer einsichtig und faktisch belegt. Bei Klee hingegen war alles in der Schwebe.“ Und, sagt die Studentin Ursula Schuh, er zeigte „die gepflegte Eleganz eines Wissenschaftlers“. Mit dem Zusatz: „Dabei sehr attraktiv.“ (mz)