Warum Max Bense Atheist sein musste
Stuttgart/dpa. - Als Martin Heidegger im Februar 1951 in Stuttgart einen Vortrag über «Die Sprache» hielt, da wurde er ausgelacht. Der große Philosoph sprach sehr salbungsvoll, etwa so: «Die Sprache.» Große Pause. «Die Sprache spricht.» Pause. «Die Sprache SPRICHT.» Wieder große Pause. «Die SPRACHE spricht.»
Dann ging es weiter über das «Unter», den «Schied» und den «Unterschied». «Es war für uns einfach nur lächerlich», berichtete Elisabeth Walther, die damalige Mitarbeiterin und spätere Ehefrau des Philosophen Max Bense, der Heidegger nach Stuttgart eingeladen hatte.
Heidegger und Bense - gegensätzlicher können zwei Denker nicht sein. Zwischen diesen extremen Polen hat die gesamte Philosophie des 20. Jahrhunderts Platz. Auf der einen Seite der mystizistische Existenzphilosoph, der archaisierend und raunend die «Seinsvergessenheit» des Menschen und das «Gestell» der modernen Technik beklagt. Auf der anderen Seite der technizistische Rationalist und Neopositivist, der Metaphysik und Poesie ersetzt durch Informationstheorie und Computerkunst.
Bense, der vor 100 Jahren - am 7. Februar 1910 - in Straßburg geboren wurde und 1990 in Stuttgart starb, war das Enfant terrible der Adenauerzeit. Er provozierte den restaurativen Zeitgeist und warf seinen Gegnern Dilettantismus vor. Kein Wunder, dass sich die baden-württembergische Landesregierung zunächst weigerte, Benses außerordentliche Professur an der Technischen Hochschule Stuttgart in ein persönliches Ordinariat umzuwandeln. Es kam zum Streit und Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger (CDU) giftete am 2. März 1961 im Landtag: «Was ich nicht ertragen will, das ist die monströse, beleidigende und verleumderische Kritik eines solchen Mannes.»
Wissenschaftliche Kritik - das war Benses Waffe gegen jeden Versuch einer «Remythologisierung des Geistes». Als studierter Physiker und Mathematiker wollte er die technische Präzision exakter Naturwissenschaften auch in den Geisteswissenschaften und Künsten etablieren. Als Kronzeuge diente ihm der Begründer der neuzeitlichen Subjektphilosophie, René Descartes: «Wir beziehen uns auf Descartes, auf seine Methode, nicht auf seine Ergebnisse, und unterscheiden in ihr eine negative und eine positive Aktion des Denkens: den Zweifel und den Beweis. Sie stehen im Verhältnis des Korrektivs zueinander. Der Zweifel begrenzt den Beweis, der Beweis limitiert den Zweifel.»
Mit dieser Methode zermalmte Bense fast die gesamte philosophische Tradition, erst recht jedes metaphysische Denken über Gott. «Ich verteidige den Atheismus als die notwendige und selbstverständliche Form menschlicher Intelligenz», schrieb Bense. Alle Sätze über Gott seien nichtssagende Scheinsätze, in denen einem unbestimmten Subjekt («Gott») ein ebenso unbestimmtes Prädikat (etwa «ist transzendent») zugesprochen werde. Der «Neue Atheismus», der heute mit dem Namen Richard Dawkins verbunden wird - Bense hat ihn schon vor 40 Jahren vorweggenommen mit seinem Aufsatz «Warum man Atheist sein muss».
Bis zu seiner Emeritierung 1979 lehrte er als Professor für Philosophie und Wissenschaftstheorie in Stuttgart. Als Vordenker des Computerzeitalters veröffentlichte er zahlreiche Schriften über Logik, Semiotik, Kybernetik, mathematische Ästhetik und Konkrete Poesie. Um ihn herum scharten sich junge Intellektuelle, Schriftsteller, Lyriker, Maler, Architekten und Designer - die «Stuttgarter Schule».
Martin Heidegger wollte mit ihr nichts mehr zu tun haben. Als Bense bei ihm Mitte der 50er Jahre noch einmal für ein gemeinsames Projekt anfragte, lehnte er schroff ab. Das Gelächter in Stuttgart über seinen Vortrag hatte er nicht vergessen.