"Warten auf Godot" in Halle "Warten auf Godot" in Halle: Welt auf dem Kopf

Halle (Saale)/MZ - Was für eine seltsame Welt ist das nur, die uns hier auf der Bühne präsentiert wird? Man könnte sich schlapp lachen oder an die Stirn tippen, je nach Temperament – wenn da nicht zugleich diese irritierende Vertrautheit wäre, aus der auch eine große Traurigkeit wächst: Irgendwie kommen sie einem sehr bekannt vor, die seltsam rührenden Freunde Estragon und Wladimir. Sie streiten und nörgeln und können doch nicht ohne einander auskommen, während sie auf einen Mann namens Godot warten, der niemals kommt.
Dafür begegnen sie dem wohlhabenden Pozzo und seinem demütigen, gedemütigten Diener Lucky, dessen Name allein eine Provokation ist. Lucky heißt schließlich der Glückliche. Aber vielleicht ist dieser Mann, der seinem Herrn Pozzo das Gepäck schleppen muss und wie ein Zirkustier auf Peitschenknall zu reagieren hat, tatsächlich der glücklichste unter ihnen?
Das 1952 geschriebene Stück „Warten auf Godot“ des irischen Literaturnobelpreisträgers Samuel Beckett (1906-1989), das jetzt am Neuen Theater Halle unter der Regie von Schauspielchef Matthias Brenner seine gefeierte Premiere erlebte, ist nicht nur eines der berühmtesten Werke des Absurden Theaters, sondern ein Klassiker der dramatischen Literatur schlechthin. Es entstand zu einer Zeit, da das schöne, unverzichtbare Erbe der Aufklärung wie auch die dramatische Rebellion eines Georg Büchner durch den Zivilisationsbruch, den der deutsche Nationalsozialismus bedeutet, in eine neue Sichtachse gerückt worden waren.
Bevor der Schock sich lösen konnte, die Grausamkeit des industriellen Mordens, dessen die Deutschen sich schuldig gemacht hatten, wenigstens begriffen werden konnte, sollte etwas Heiles aus den gegenständlichen wie den seelischen Trümmern wachsen. Indes verbreiteten aber schon neue Heimsuchungen ihre Schrecken: Die ersten Atombomben waren gefallen, die Welt wurde durch den Kalten Krieg in zwei unversöhnliche Blöcke geteilt.
Beckett, der sich als Widerstandskämpfer in seiner Wahlheimat Frankreich vor den Nazis verbergen musste, um sein Leben zu retten, hat die Sprachlosigkeit der Nachkriegszeit in ein großes, bis heute gültiges Bild gebracht. Da sind zwei Männer, Wladimir und Estragon, eher alt als noch in den besten Jahren, abgerissen und ohne Ziel, denen das Warten auf diesen imaginären Godot die Zeit vertreibt. Vielleicht ist es Gott, der hinter der Metapher Godot steht, vielleicht ist es das fragile Selbst, dem jeder der Beiden nicht mehr viel zutrauen mag. Eigentlich wissen sie, dass Godot, der mögliche Wegweiser, nie kommen wird – oder gar nicht existiert, aber sie haben auch keine Alternative. Es sei denn, sie erhängten sich, doch das immerhin als Möglichkeit in Betracht Gezogene scheitert an technischen Schwierigkeiten: Sie haben keinen passenden Strick. Hinzu kommt: Zu ihrem Glück fehlte ihnen, fände sich das Seil, wohl auch die Entschlusskraft zur Tat.
Ohnehin wird man sich bei „Godot“ schwer tun, Glück und Unglück auf herkömmliche Weise zu sortieren - hier stehen die Dinge sozusagen auf dem Kopf und sind deshalb umso wahrhaftiger. Matthias Brenner hat Becketts großen, komischen, verzweifelten und Heilung ersehnenden Text in Halle mit einem Allstar-Ensemble inszeniert. Die im Vorjahr pensionierten Fernseh-Kommissare Wolfgang Winkler (Estragon) und Jaecki Schwarz (Lucky) sind dabei, was man als einen Coup des Hauses ansehen kann, aber eigentlich ist es vor allem eine Heldentat der Akteure selber, die nicht wenig riskiert haben - zumal Schwarz, der vor seiner „Polizeiruf“-Ära ein großartiger Bühnendarsteller war, aber seit vielen Jahren so gut wie gar nicht mehr Theater gespielt hat.
Seinen Diener Lucky, die vielleicht schwierigste Rolle des Stückes, gibt er mit großer Noblesse und Traurigkeit. Wenn ihn sein Herr Pozzo erst zu tanzen, dann zu denken heißt und das Stück damit endlich das Wichtigste, nämlich die Würde des Menschen bespricht, ahnt man, was dieser Mann spielen kann. Dazu kommen die Platzhirsche Reinhard Straube als rührend tapferer und pfiffiger Wladimir mit halleschem Mutterwitz, Hilmar Eichhorn als zynischer Machtmensch Pozzo und Axel Gärtner, der sich seiner kleinen, aber wichtigen Aufgabe als Bote Godots mit Bravour entledigt.
Wolfgang Winkler indes, der als Estragon neben Straube den umfangreichsten Part zu bewältigen hat, spielt den manchmal bockigen, schusseligen Partner dieses Gespanns mit Witz und Glaubwürdigkeit. Allein der Rhythmus, der das absurde Spiel mit der Wirklichkeit am Laufen hält, stimmte im ersten Teil des Premierenabends nicht immer, es rumpelte ein wenig, nach der Pause lief es dagegen deutlich besser. Eine gelungene Inszenierung ist Matthias Brenner und seiner Mannschaft jedenfalls gelungen. Schön, dass Becketts „Godot“ in Halle nun ein Thema ist. Erwartet wird er dort schon lange.
Nächste Vorstellung: 22. April, 19.30 Uhr, Großer Saal