Wanzen, Bloch und Denunzianten: Hans Mayer an der Uni Leipzig
Leipzig/dpa. - Das Buch «Der Fall Hans Mayer - Dokumente 1956-1963» beschreibt die Zeit des renommierten Literaturwissenschaftlers an der Leipziger Karl-Marx-Universität, der auch Universitätskollege des Philosophen Ernst Bloch war. Zugleich beleuchtet es den Zwiespalt mancher Wissenschaftler, Künstler und Intellektueller in Deutschland nach der Barbarei des Hitler-Faschismus zwischen Loyalität und Widerstand einem Land gegenüber, von dem sie sich ein «besseres Deutschland» versprachen oder das sie als das «kleinere Übel» ansahen - und das sie mit neuen Formen des Meinungsterrors drangsalierte.
Der rührige Leipziger Verleger Mark Lehmstedt hat den 100. Geburtstag des 2001 in Tübingen gestorbenen Literaturwissenschaftlers in diesem Jahr zum Anlass genommen, in einer Fleißarbeit über 250 Dokumente der Überwachung, darunter auch Spitzelberichte von zwei engsten Mitarbeitern Mayers, in einem Band zu sammeln - von SED- Avancen bis zum Haftbefehl. In ihrer Häufung geben die Dokumente, ähnlich anderen spektakulären Bespitzelungsfällen der DDR wie bei dem 1976 ausgebürgerten Liedermacher Wolf Biermann, einen gespenstischen Einblick in eine Gesellschaft mit «Blockwartmentalitäten», die jede Diktatur zu Nutzen versteht. Das Ausmaß an willfährigen und bienenfleißigen Denunzianten ist ebenso enorm wie abstoßend.
Das nimmt streckenweise auch groteske Ausmaße an. Über eine Feier zum 75. Geburtstag Blochs, an der auch ein «westdeutscher Verleger Siegfried Unzing» (gemeint war Unseld) teilnahm, weiß der «Geheime Informant Wild» zum Beispiel zu berichten: «Ich beteiligte mich an Gesprächen, die das Klassenbewusstsein, Analysen und auch die Teenager zum Inhalt hatten. Auch unterhielt ich mich mit den Damen über Staubsauger.» Ein anderes Mal unterhielten sich Bloch und Mayer «über einige Professoren, die sie mit "Rindvieh" betiteln.» Den damaligen DDR-Volkskammerpräsidenten Johannes Dieckmann nennen sie laut Stasi-Protokoll eine «Schießbudenfigur».
Manchmal war der Spitzel auch einfach überfordert, wenn zum Beispiel Autoren wie Stephan Hermlin, Ingeborg Bachmann, Walter Jens und Peter Huchel lasen: «Die vorgetragene Lyrik war sehr unverständlich durch die übermäßige Verwendung von Symbolen.» Enttäuscht äußerte er sich auch darüber, dass «die Angriffe gegen Adenauer und die Atomaufrüstung nur schwer beim Zuhörer» ankamen.
Mayer verbinde eine «enge Freundschaft» mit Professor Bloch, dessen «reaktionäre philosophische und politische Auffassungen» die SED «entlarvt» habe. Außerdem gehörten zum Bekanntenkreis auch der «festgenommene Schriftsteller Erich Loest und der Verräter (Gerhard) Zwerenz». Die Stasi registriert auch die Bitten «feindlicher Kräfte aus Westdeutschland» an Mayer, sich für den zum Studentenkabarett «Rat der Spötter» gehörenden inhaftierten Peter Sodann einzusetzen. Loest meinte jetzt in seiner Rezension des Dokumentenbandes: «Hundert Jahre nach Hans Mayers Geburt dürfen sich Beteiligte und Nachgekommene fragen, wie sie vor Hans Mayer stehen und bestehen.»
Ernst Bloch kehrte nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 nicht mehr in die DDR zurück, Mayer war darüber zunächst schwer enttäuscht, folgte aber resigniert zwei Jahre später in den Westen, als der Druck der dogmatischen und linientreuen Professoren und der SED-Funktionäre an der Leipziger Uni immer stärker wurde. Seine kostbare, 5000 Bände umfassende Bibliothek wurde beschlagnahmt. Mayer hatte seinen Kampf um eine freiere Wissenschaftsausübung in der DDR verloren und, auch nicht frei von besonders starkem Ehrgeiz, um mehr Anerkennung in diesem Land, das ihn anfangs durchaus umworben hat.
Durchaus empfehlenswert zum noch besseren Verständnis der damaligen gesellschafts- und kulturpolitischen Zusammenhänge ist eine parallele Lektüre der Briefe Hans Mayers aus den Jahren 1948 bis 1963, die Herausgeber und Verleger Lehmstedt bereits im Vorjahr herausgegeben hatte.
Mark Lehmstedt (Hrsg.): Der Fall Hans Mayer - Dokumente 1956-1963
Lehmstedt Verlag, Leipzig
525 S., Euro 29,90
ISBN 978-3-9371-4641-6