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Walter Ulbricht Walter Ulbricht: Dem Walter-König zum 120. Geburtstag

Von Steffen Könau 28.06.2013, 15:51
Vor Stalingrad kämpfte Ulbricht gegen die Wehrmacht
Vor Stalingrad kämpfte Ulbricht gegen die Wehrmacht DNB Lizenz

Halle/MZ - Er war der Mann an der Tischtennisplatte, der Staatsratsvorsitzende, der in Bundfaltenhose und mit Minischlips inmitten seiner Staatsbürger turnte und als „Walter-König“ auch schon mal spontan eine flotte Funktionärssohle aufs Parkett legte. Dennoch galt Walter Ulbricht, nach zwölf Jahren im Exil 1945 als Leiter der „Gruppe Ulbricht“ nach Berlin zurückgekehrt, Zeit seines Lebens als eher steifer, schlimm sächselnder Staatsmann, für den die Ideologie mehr zählte als der Mensch. Zu Ulbricht, als SED- und Staatsrats-Chef der mächtigste Mensch in der DDR, schien selbst die Geschichte vom Mauerbau zu passen: Dreist log der damals 68-Jährige noch zwei Monate vor der Abriegelung West-Berlins durch DDR-Bauarbeiter, „niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!“

Da muss nun, kurz vor dem morgigen 120. Geburtstag des Schneidersohnes aus der Leipziger Gottschedstraße 4, erst einer der Nachfolger des über zwei Jahrzehnte prägenden Politikers der DDR kommen, um das Ulbricht-Bild geradezurücken. Egon Krenz, im Herbst 1989 für sechs Wochen Vorsitzender des Staatsrates und SED-Chef in Personalunion, hat mit „Walter Ulbricht - Zeitzeugen und Zeugnisse“ ein mehr als 600 Seiten dickes Porträt des kommunistischen Funktionärs, Widerstandskämpfers und späteren Alleinherrschers vorgelegt, das aus 69 mal kürzeren, mal längeren Miniaturen besteht, in denen Wegbegleiter Ulbrichts den großen Vorsitzenden beschreiben.

Eine Fleißarbeit, der sich der 76-jährige Krenz gern unterzog, wie er selbst sagt. Denn natürlich geht es hier nicht um Fakten und Daten, sondern vor allem um die Deutung dessen, was gewesen ist. War Ulbricht der gemütliche Landesvater, als den ihn das DDR-Buch „Ein Leben für Deutschland“ porträtierte? Oder war er doch eher der gerissene Despot, dem die Demonstranten vom 17. Juni 1953 „Spitzbart, Bauch und Brille sind nicht des Volkes Wille“ zuriefen?

Für Herbert Graf, der an der Arbeiter- und Bauernfakultät in Halle studierte, Ulbricht bei einer Jugendkonferenz im halleschen Volkspark kennenlernte und von diesem später als Mitarbeiter nach Berlin geholt wurde, ist die Sache klar. In 20 Jahren an der Seite des 30 Jahre Älteren habe er seinen Chef als klugen Strategen und sozial kompetenten Führer mit „hoher emotionaler Intelligenz“ kennengelernt. Selbst Ulbrichts begrenztes rhetorisches Geschick mag Graf nicht als Nachteil sehen. Es habe die Zuhörer gezwungen, sich mehr auf die Inhalte zu konzentrieren.

Auch Alfred Kosing bläst in dieses Rohr. Ulbricht, so versichert der in Halle studierte Philosoph, sei zweifellos der bedeutendste Staatsmann der DDR gewesen, weil er es wie kein anderer Ostblock-Führer verstand, nach Stalins Tod zwischen der von der Sowjetunion geforderten Loyalität und den Erfordernissen der DDR zu lavieren. Gleichzeitig hätten Episoden gezeigt, wie nah der führende Genosse am Leben geblieben sei. Das Vorwort zum Jugendweihe-Buch „Weltall - Erde - Mensch“ etwa, das Kosing geschrieben hatte, redigierte Ulbricht eigenhändig. Ein Zeichen des Zentralismus, für den der tanzbegeisterte Walter-König auch stand. Egon Krenz räumt ein, dass Ulbricht „für die Einheit seiner Partei“ (Krenz) gekämpft habe, wo immer er „Fraktionen“ entdeckte. Dennoch konnte der Machtmensch nicht verhindern, dass seine Widersacher ihn aus dem Weg räumten, als seine Kraft nicht mehr ausreichte, sie im Zaum zu halten.

Die Sprache der Zeugen hier, die angeführt von Margot Honecker, Eric Neutsch, Täve Schur und Heinz Keßler wie eine Parade der DDR-Prominenz vorüberziehen, ist die der Funktionärsschicht. Doch lugen zwischen Enttäuschung und Bitternis über die „historische Niederlage 1989/1990“ (Krenz) immer wieder interessante historische Wahrheiten hervor. Ulbrichts Bruder etwa lebte in den USA und nahm „aus Angst vor dem FBI“ nie Kontakt auf. Die Tragödie um Ulbrichts Adoptivtochter Beate dagegen begann erst, als ihr Vater gestorben war. Sie heiratete, wurde Mutter, brach ihr Studium ab und „verlor ihr Leben an Alkohol und Asozialität“, wie Krenz formuliert. Beate Ulbricht wurde 1991 in ihrer Wohnung in Berlin erschlagen, der Mord blieb bis heute unaufgeklärt.

Doch es geht ja nie um Personen, sondern immer um die Sache, glaubt man denen, die hier aussagen. So habe Ulbricht seinen Nachfolger Honecker lange protegiert, ehe er entschied, dass dessen Fähigkeiten nicht ausreichten, heißt es mehrfach. Margot Honecker erinnert sich anders: „Erich stand immer auf der Seite Walters bei der Verteidigung der Generallinie“. Krenz, ein Schneidersohn wie Ulbricht, fragt nach, recht direkt: „Ich meinte den Wechsel von Walter auf Erich“. Für Frau Honecker Gelegenheit, zu historisieren: „Dabei ging es nicht um Personen, sondern um die DDR.“

Walter Ulbricht und Chrustschschow
Walter Ulbricht und Chrustschschow
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