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Von den Nazis verbrannt Von den Nazis verbrannt: Justiz-Roman von Ernst Ottwalt erscheint neu

Von Christian Eger 07.05.2018, 12:01
Lebte von 1918 bis 1921 in Halle: Ernst Ottwalt um 1935
Lebte von 1918 bis 1921 in Halle: Ernst Ottwalt um 1935 Sammlung A. W. Mytze

Halle - Dieses Buch ist kein Halle-Roman, aber die Stadt Halle findet in ihm ein starkes Echo. Nicht als malerische Kulisse, sondern als vor Ort gewonnene gesellschaftliche Erfahrung am Anfang der Weimarer Republik. Der Justizroman „Denn sie wissen was sie tun“, 1931 im Malik Verlag veröffentlicht und 1933 von den Nazis öffentlich verbrannt, lässt noch einmal anklingen, was der junge kommunistische Schriftsteller und Brecht-Freund Ernst Ottwalt (1901-1943) als Gymnasiast, Freikorps-Freiwilliger, Polit-Spitzel, Burschenschaftler und Jura-Student in den Jahren von 1918 bis 1921 in Halle erlebt hatte.

Der Hass auf die junge Demokratie, die Sehnsucht nach dem Kaiserreich, das reaktionäre Milieu der aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrten Studentenschaft, das harte Aufeinanderprallen von proletarischer und bürgerlicher Wirklichkeit. Das alles hatte der aus Pommern stammende Pfarrerssohn, der eigentlich Ernst Gottwalt Nicolas hieß, als Pensionsgast im Haushalt seines Onkels, des Vorstehers der Diakonissenanstalt, Carl Moehr, in Halle erlebt und durchlitten. Darüber hatte er in seinem ersten, 1929 veröffentlichten Roman „Ruhe und Ordnung“ geschrieben, der 2015 als Neuausgabe im halleschen Hasenverlag erschienen ist. Der Bericht aus der Mitte einer bürgerlichen Jugend, die 1918 nach rechts abgebogen war.

Rebellen-Instinkte von rechts

Warum? „In dieser Bewegung“, erklärte Ottwalt, „reagierten die jungen Leute zunächst typisch jugendliche Rebelleninstinkte ab, denn der Kampf, in den sie geführt waren, stellte sich in ihren Köpfen dar als der Kampf gegen das Bestehende, die Autorität, die Staatsgewalt: die deutsche Republik.“ Dabei sollte es bleiben. Für Ottwalt, der die Demokratie vom Jahr 1931 an als Parteikommunist bekämpfte. Und für die meisten seiner Kommilitonen, die von rechts die „deutsche Republik“ mit der „Staatsgewalt“ austrieben, die sie als Richter und Staatsanwälte ausübten.

Davon erzählt „Denn sie wissen was sie tun“, ein dokumentarischer Roman, der mit der Figur des Strafrichters Friedrich Wilhelm Dickmann das Spektrum der demokratie-skeptischen bis -feindlichen Milieus der 1920er Jahre in den Blick nimmt. Dabei ist Dickmann - „die blauen Augen blicken ruhig über zwei runde Backen in eine Welt ohne Rätsel“ - kein politischer Scharfmacher, eher ein durchschnittlich intelligenter, durchschnittlich engagierter Gewohnheitsbürger, der sich als junger Jurist Begriffe von der Welt zu machen sucht, die ihn umgibt. Auch wenn die Figur an den Unternehmer Diederich Heßling in Heinrich Manns Roman „Der Untertan“ erinnert, liegt bei Dickmann der Fall doch anders: Er muss die politische Autorität, der er sich unterwerfen will, erst noch finden.

Hauptsache "kaufmännisch" denken

Klar ist, dass diese Autorität die Republik nicht ist. Die von dem Staatsrechtler Hugo Preuß entworfene Weimarer Verfassung wird gemeinhin verachtet. Deren Eingangsformel verballhornt ein Professor im jiddischen Tonfall unter dem Beifall seiner Studenten: „Das deitsche Volk, einig in seinen Stämmen...“ Dickmann, den der Leser durch Gerichtssäle und unterschiedlichste Haushalte begleitet, trifft unter den Kollegen auf abgelebte kaisertreue Christen und junge zynische Atheisten, auf Aktivisten von rechts und links, eine sich rasant atomisierende Gesellschaft, die von Abstiegsängsten und Aufstiegseifer auf Trab gehalten wird. Nicht mehr moralisch, sondern „kaufmännisch“ zu denken, ist das Gebot der Stunde.

Mit der Republik haben alle wenig am Hut. Bestenfalls mit dem, was heute wieder unter dem Schlagwort „illiberale Demokratie“ im Schwange ist. Die Lage ist für Dickmann verwirrend. Gerechtigkeit, muss er feststellen, ist eine philosophische Kategorie, das Recht Verhandlungssache. Wo von „Gesetz“ geredet wird, ist „Herrschaft“ gemeint. Die entfaltet sich als Pyramide: „Aller Druck des Lebens und der Gesetze verstärkt sich, je näher man der Grundlage kommt, auf der dieser Bau sich erhebt.“ Schuld braucht Bühne. Gestraft und gedroht wird nach unten - und 1930 vor allem gegen links.

Tucholsky: Ich bin für dieses Buch

Es ist eine erstaunliche Begegnung, die der Berliner Verlag Das kulturelle Gedächtnis mit der Neuausgabe des Buches ermöglicht. Der Roman - gestalterisch anspruchsvoll und mit einer biografischen Skizze zum Autor präsentiert - ist lebendiger und interessanter als erwartet. Hier liegt durchaus kein stereotyper kommunistischer Agitprop-Roman vor. „Ich bin für das Buch von Ottwalt und seine Verbreitung“, schrieb Kurt Tucholsky 1932, „es geht uns alle an“. Auch wenn Tucholsky mit dessen dokumentarischer Ästhetik fremdelte. Ottwalt verarbeitet, worauf er hinweist, durchweg echte Rechtsfälle. Ein Buch, das so geschrieben ist, wie George Grosz gezeichnet hat. Aggressive Sachlichkeit mit karikierenden Zügen.

Ottwalts Autorenlaufbahn endete 1937. Im Moskauer Exil wurde er verhaftet und in den Gulag deportiert, wo er 1943 gestorben sein soll. Im legendären Arbeiterfilm „Kuhle Wampe“ (1932), zu dem er gemeinsam mit Brecht das Drehbuch schrieb, ist Ottwalt kurz zu sehen. Es sind die einzigen Bewegtbilder, die von ihm überliefert sind. Für Sekunden tritt Ernst Ottwalt auf: als Staatsanwalt. Eine Rolle, gegen die er sich im Leben entschieden hatte. Warum, erzählt dieser Roman.

››Ernst Ottwalt: Denn sie wissen was sie tun. Verlag Das kulturelle Gedächtnis, Berlin, 352 Seiten, 25 Euro (mz)