Volker Braun Volker Braun: «Wann sag ich mein und meine alle»
Wittenberg/MZ. - Gemeinsam mit seinem Bruder zog Braun ins Notaufnahmelager Marienfelde. Kaum eingetroffen, habe er drei Geheimdienste am Hals gehabt, erzählt Braun. Der Bruder ging in den Westen, Braun in den Osten, zurück "in Schlamm und Sand". Das DDR-System lag ihm nicht, der Westen noch weniger. "Ich sah mich - als mögliche biografische Wende - am Ende in Stammheim sitzen", sagt Braun. Der Mann des skrupulös eingreifenden Wortes auf der Seite der schließlich stummen, sinnlos brutalen Tat? Da war er wieder hörbar: der empfindsame Draufgänger, der progressive Romantiker in Volker Braun.
Alles im Fluss
Am Dienstagabend war der 2000 mit dem Büchnerpreis ausgezeichnete, in Berlin lebende Schriftsteller zu Gast in Friedrich Schorlemmers Gesprächsreihe "Lebenswege". Es war ein literarisch-sozialphilosophischer Abend, ein Lektürekurs, der sich über fast zwei Stunden erstreckte. Dabei ist der 68-jährige Braun ("Hinze-Kunze-Roman", "Die Übergangsgesellschaft"), der in seiner scharf ausgefochtenen Laufbahn niemals auch nur einen langweiligen Text abgeliefert hat, eigentlich kein Mann für den Talk. Einfache Antworten auf einfache Fragen sind seine Sache nicht. Lieber zieht er ein Lesestück aus der Tasche. Zugespitztes Einerseits-Andererseits, höchste begriffliche Präzision bei rasant fließender Abstraktion. Braun liest aus "Mittagsmahl", "Hinze-Kunze-Roman", dem Gedicht "Mein Eigentum": "Mein Eigentum, jetzt habt ihrs auf der Kralle. / Wann sag ich wieder mein und meine alle."
Frei von der Partei
Lebensstichworte des Autors werden berührt. Die SED, der der einst angestellte Theaterautor angehörte, "was ich heute als einen Irrtum betrachte". Man müsse als Autor frei sein, sagt Braun, frei von jeglicher "Parteischeiße" (Friedrich Engels). Er habe sich abgearbeitet an den Konflikten, den Lügen, Rügen, Strafen. Aber, meint Braun, in den unteren Parteigruppen sei "wütender und härter" über die Lage gestritten worden als anderswo.
Berührt die Rede das Thema Stasi, ist Braun nicht frei von Affekten, da wirkt ein Schrecken nach. Die Spitzelprotokolle: Das sei "Dreck von wieviel miesen Gestalten", die "Exkremente des Staates". In seiner Wirkung "infam" bis in die Gegenwart. Die Gesellschaft, um die es ihm selbst ging und geht? "Eine solidarische, in der eine wirkliche Chancengleichheit" besteht, unabhängig von Besitz und Klasse.
Brauns Stärke: Sein Weltverhältnis im Fluss halten zu können, sich nicht selbst zu ideologisieren. Er erinnert an 1989: die spontane "Selbstzusammensetzung der sozialen Kräfte" aus unterschiedlichsten Gruppen und Milieus. Das "Wirklichgewollte", das nicht näher bestimmt war, das aber entschlossen das eine "Nichtgewollte" fortfegte. Wie selten, wie großartig. Mehr braucht Braun nicht zu sagen: "Wir haben das erlebt."