Vertreibung 1945 Vertreibung 1945: Zentrum in Breslau ist nicht mehr undenkbar

Breslau/dpa. - Von «Breslau» zu sprechen war in Polen bis in dieachtziger Jahre hinein verpönt. Selbst durchaus regierungskritische Polen sprachen bei Diskussionen mit Deutschen von «Wroclaw», als bedeute bereits die Verwendung des alten deutschen Namens ein Einknicken vor den Forderungen der Vertriebenenverbände. Doch das war einmal. Die niederschlesische Metropole, die in ihrer tausendjährigen Geschichte von Deutschen, Böhmen und Polen geprägt worden ist und in der noch vor 20 Jahren viele Gebäude vom Zweiten Weltkrieg gezeichnet waren, hat ihre Vergangenheit angenommen und lebt doch in der Gegenwart.
Nach der politischen Wende in Polen hat Breslau sogar das1938 von deutschen Nationalsozialisten veränderte und von polnischenKommunisten ebenfalls gemiedene alte Stadtwappen wieder angenommen,das 1539 von Kaiser Ferdinand I. von Habsburg verliehen worden war.
Selbst Vorschläge aus der Bundesrepublik, hier ein Zentrum zurDokumentation über die Vertreibungen des 20. Jahrhunderts zuerrichten, wurden in der Stadt wie auch in ganz Polen nur sachlichund nicht leidenschaftlich diskutiert. Die deutsch-tschechischeKontroverse um die Gültigkeit der Benes-Dekrete wurde in Polen zwarmit Interesse beobachtet, hat aber keine Ängste vor einem neuenAufflammen von Gebietsansprüchen ausgelöst.
«Die Breslauer sind eben endlich bei sich selbst angekommen»,meint Jaroslaw Broda, als Kulturdezernent von Breslau mit der Pflegesowohl der alten deutschen Architektur als auch der Kulturgüterbeauftragt, die die aus dem heute ukrainischen Lemberg (Lwow/Lviv)vertriebenen Polen 1945 aus ihrer Heimat mitgebracht hatten. Vor demaus dem Ende des 13. Jahrhunderts stammenden gotischen Rathaus mitseiner Giebelarchitektur wurde nach dem Zweiten Weltkrieg das Denkmaldes polnischen Dichters Aleksander Fredro aufgestellt. Dieses war vonLemberg nach Breslau geschafft und an die Stelle vonReiterstandbildern preußischer König gesetzt worden.
In der Universität, dem wohl eindrucksvollsten BarockbauSchlesiens, mit ihrer prächtig gestalteten Aula Leopoldina sind nebenAbbildungen von Monarchen aus den Häusern Habsburg und Hohenzollernnun auch die Porträts der Professoren der Universität Lembergverewigt, die hier eine neue Heimat fanden.
In den Straßencafés und Kneipen rund um den Ring (Rynek), dengroßen Marktplatz, sitzen junge Leute, die mit den Trends inWarschau, Berlin oder London vertraut sind und für die es keine Rollemehr spielt, ob die Menschen auf dem Ring früher deutsch oderpolnisch gesprochen haben. «Die erste Generation, die nach dem Krieghierher kam, blieb ihr Leben lang auf gepackten Koffern sitzen», sagtBroda.
Die Ostpolen, die sich nach dem damaligen offiziellenSprachgebrauch in den «wiedergewonnenen Gebieten» in den Häusern dervertriebenen Deutschen einrichten mussten, träumten in Breslau oderDanzig von der verlorenen Heimat in Lemberg oder Wilna. Aber für ihreKinder und Enkel ist das der fremde Osten, meist ebenso unbekannt wieNiederschlesien, Pommern oder Ostpreußen für die Kinder und Enkel deralten deutschen Bewohner.
«Eigentlich ist Breslau genau die richtige Stadt, um einDokumentationszentrum über die Vertreibungen zu bauen», meint Brodadeshalb zu dem Vorschlag von Markus Meckel, dem Vorsitzenden derdeutsch-polnischen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag. Dasfindet auch Staatspräsident Aleksander Kwasniewski. «Voraussetzungist allerdings, dass dieses Zentrum auf historischer Wahrheit beruhtund nicht auf Schuldzuweisung», betonte er vor wenigen Wochen vorJournalisten.