Verleger Ullstein Verleger Ullstein: Hasserfüllte Stiefeltritte

Berlin/MZ - Die Szene ist gespenstisch: „Wir rissen die Türen auf, lauschten hinunter - und hörten den dumpfen Klang von im Gleichschritt marschierenen Stiefeln“, erinnerte sich Hermann Ullstein später, im amerikanischen Exil. „Raus mit den Juden“, skandierte die pöbelnde, Gewaltbereitschaft ausstrahlende Truppe von etwa 30 Männern immer wieder, die durch das Verlagsgebäude von Ullstein in Berlin zog.
Deutschlandweiter Boykott jüdischer Geschäfte und Betriebe
Am 1. April 1933 ist das gewesen, Hitler und die Nationalsozialisten waren gerade erst zwei Monate an der Macht. Und hatten die Gesellschaft doch schon dramatisch verändert. Ein erster, deutschlandweiter Boykott jüdischer Geschäfte und Betriebe sollte die „Volksgenossen“ gedanklich und vor allem emotional auf den Judenhass einstimmen - und auf die Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern, die auch eine Form des Mittuns ist.
Hermann Ullstein, der die Geschäfte des Familienunternehmens führte, damals das bedeutendste Verlagshaus in Deutschland, erkannte unter den Nazis, die drei Stunden lang durch alle Etagen des Hauses trampelten, etliche bekannte Gesichter: einen Pförtner, Schriftsetzer, Drucker - und auch einige Redakteure.
Die Meute wuchs noch an, während sie den Verlag und die Zeitungsredaktionen in Beschlag nahm: „Eine Person fiel mir auf. Es war einer unserer Schriftleiter, der mit aufgerissenen Augen die Prozession verfolgte und zaghaft den Rhythmus mitklatschte.“ Kein Zweifel, die Nazis waren angekommen in der Mitte der Gesellschaft. Das war kein „Betriebsunfall“, sondern etwas, das die Wirklichkeit in Deutschland zunehmend bestimmen und seine geistige wie sittliche Physiognomie grundlegend verändern würde.
Liberale Presse hat es auf Nationalsozialisten abgesehen
Neben den politischen Gegnern der Nationalsozialisten war es besonders die liberale Presse, auf die es die neuen Machthaber abgesehen hatten. Sehr schnell ließen Hitler und sein Propagandamann Goebbels deutlich erkennen, dass abweichende, kritische Meinungen nicht nur unerwünscht, sondern schlichtweg verboten waren. „Wie ein Tiger stürzte sich Hitler auf eine der größten Errungenschaften der Neuzeit - die freie Presse“, schreibt Hermann Ullstein in seinem Erinnerungsbuch „Das Haus Ullstein“, das jetzt erstmals in deutscher Sprache vorliegt.
„Verleger, die vor kurzem noch überzeugend argumentieren mussten, um auf die öffentliche Meinung Einfluss zu nehmen, waren nun nichts anderes als Instrumente in der Hand von Teufeln, die unschuldige Leute für den Reichstagsbrand verantwortlich machten und schamlos behaupteten, der Boykott gegen die Juden sei gottgewollt“, heißt es bei Hermann Ullstein. Der Verlag, „der einst die besten Köpfe der Publizistik versammelte“, sei nun „zum Sprachrohr von Knallchargen“ verkommen. Der Zorn des Verlegers ist groß gewesen - ebenso freilich seine Hilflosigkeit. In den letzten Jahren der Weimarer Republik hatte Ullstein sich noch bemüht, eine Allianz des Geistes gegen die Nazis aufzustellen, aber der Versuch scheiterte an der Uneinigkeit und Unentschiedenheit der Verlage, die es sich wenigstens teilweise nicht mit den Anhängern der „Bewegung“ verderben wollten.
Ullstein emigrierte in die USA
Am Ende hat man sie alle gleichgeschaltet. Der Ullstein-Verlag wurde verkauft - zu einem vergleichsweise bescheidenen Preis, wie es üblich war bei Geschäften, die die Machthaber und deren Günstlinge mit jüdischen Eigentümern abschlossen. Hermann Ullstein emigrierte schließlich in die USA, sein Buch „The Rise and Fall of the House of Ullstein“ ist schließlich 1943 im New Yorker Verlag Simon & Schuster erschienen, danach im Londoner Verlag Nicholson & Watson. In der zerstrittenen Familie ist die Publikation auf wenig Begeisterung gestoßen, Hermann Ullstein selber indes war sehr stolz auf sich. „Ich nehme an, dass das Eis nun gebrochen ist und die Angebote von Hollywood und den Buchverlegern nun folgen werden“, schrieb er in geradezu kindlich anmutender Hoffnung.
Es sei doch richtig gewesen, „dass ich mich auf das Schreiben gelegt habe, nicht auf das Finden eines Jobs“, notierte der Endsechziger, der nahezu mittellos in den USA lebte und auf Unterstützung von Angehörigen angewiesen war. Das Buchhonorar belief sich auf 864 Dollar, eine durchaus relevante Summe für den Emigranten.
Das Wichtigste an diesem gut zu lesenden Buch sind ohne Zweifel die scharfe Sicht auf den Beginn des „Dritten Reichs“ und die entsprechend pointierte Beschreibung dessen, was man die Außerkraftsetzung der Zivilität nennen muss.
Hermann Ullstein: „Das Haus Ullstein“, aus dem Engl. von Geoffrey Layton, Ullstein, 304 S., 19,99 Euro
