Uwe Tellkamp Uwe Tellkamp: Autor tritt nach Populismus-Vorwürfen wieder auf

In der Zeit des Verrats sind die Landschaften schön. Ein viel zitierter Vers von Heiner Müller. Verrat meint bei ihm den Umsturz, die Revolution, er lässt sich aber auch als Kennwort für das böse politische Handgemenge lesen.
Für den Ausschluss, die Diffamierung, den Lärm. Alles das, was einen Menschen Trost suchen lassen kann in der Landschaft.
Uwe Tellkamp hat diesen Beistand nötig. Verblüffend viel war am Sonntagnachmittag von einer „Landschaft ohne Verrat“ die Rede in dem Gespräch, das der Dresdner Schriftsteller im Schloss Ettersburg bei Weimar mit dem Berliner Essayisten Sebastian Kleinschmidt führte.
Es war der erste öffentliche Auftritt des 49-Jährigen nach dem Dresdner Streitgespräch mit Durs Grünbein, in dem der Erfolgsautor scharf die Flüchtlingspolitik und das Meinungsklima in Deutschland kritisierte. Das publizistische Echo war gnadenlos, der Autor nach seiner Unterschrift für die „Erklärung 2018“ für einige Wochen nicht mehr vermittelbar.
Tellkamp zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Er sei nicht mehr in der Lage, Lesungen durchzuführen, ließ er Ende März durch den kleinen Verlag Edition Eichthal mitteilen, in dem seine Erzählung „Die Carus-Sachen“ erschienen war. Insofern war am Sonntag ein Comeback zu erleben.
Wenn auch ein mehrfach gepuffertes. Das Pfingst.Festival Ettersburg ist ein kultureller Wohlfühltermin der liberal-konservativen Mitte. Hier stört bestenfalls ein zu wenig gekühlter Weißwein.
Die Feuilleton-notorischen Schriftsteller Karl Heinz Bohrer, Monika Maron und Sibylle Lewitscharoff: Sie alle waren da. Die Publizisten Henryk M. Broder und Jan Fleischhauer sitzen am Mittag auf der Schlossterrasse gemeinsam mit Tellkamp und Kleinschmidt.
Uwe Tellkamps erste Lesung nach der Diskussion über populistische Aussagen
Deutschland, deine Idyllen! Dreimal schlägt zur Lesung im Gewehrsaal die Glocke der kleinen Schlosskirche wie ein Löffelchen auf einen Blechteller.
Tellkamp - sehr konzentriert, sehr verhalten - eröffnet mit seinem „Carus“-Büchlein, einem kurzen Seitenstrang des „Turm“-Romans. Fabian Hoffmann, Cousin des „Turm“-Protagonisten, erzählt von der Leidenschaft seines Vaters für den historischen Mediziner und Maler Carus, einem Rationalisten mit dem Skalpell, einem Romantiker mit dem Pinsel.
Tellkamp liest am Pult. Suggestive Dresden-Beschwörungen inklusive. „Damals, in den frühen Achtzigern, schien Dresden in der Tiefsee zu treiben. Eine Winterstadt voller Bücherhöhlen und Musikrefugien, vom Zeitsignal des Deutschlandfunks mit einem Echolot angepeilt.“
Dass er sich als Schriftsteller eher den Malern als Musikern zugehörig fühle, bekennt Tellkamp im Gespräch mit Sebastian Kleinschmidt. Dass die Inspiration ihn erwische, wo sie will: „Es schreibt mich. Ich werde geschrieben.“
Den 70-jährigen Kleinschmidt, der seinen neuen, mit biografischen Gesprächen abgerundeten literarischen Essayband „Spiegelungen“ vorstellt, zählt Tellkamp zu den „sogenannten Anderen, den Stillen im Lande“.
Das ist eine Projektion. In den 1970er Jahren gehörte Kleinschmidt einem SED-dissidentischen Zirkel an, 1988 wurde er Vize-Chef, 1991 Leiter der bedeutendsten ostdeutschen Literaturzeitschrift „Sinn und Form“, die er bis 2013 leitete.
In Ettersburg indes zeigt er sich ganz als Landschafter. Er liest einen Essay über seine Heimatstadt Schwerin. Den Bildhauer Marcks. Sagt, dass er gerne Marinepfarrer geworden wäre - wie Tellkamp Marinearzt.
Ein seltsamer, entschleunigter, leicht wundertütiger Nachmittag. Es ist nicht zwangsläufig eine gute Idee, Schriftsteller sich gegenseitig befragen zu lassen.
Bei einem durchaus auch politischen Autor wie Tellkamp - „Der Turm“ hat patriotisch erbauliche Passagen - vom Gesellschaftlichen ganz zu schweigen, muss erstaunen. Weder erfährt man, was Tellkamp, noch was Kleinschmidt eigentlich geistig-literarisch antreibt.
Den Umstand, dass Kleinschmidts bekannter Vater, der Schweriner Domprediger Karl Kleinschmidt, tatsächlich Mitglied der SED gewesen war, pariert der Sohn mit Goethe: „,Wohl kamst du durch; so ging es allenfalls.’ - / Mach’s einer nach und breche nicht den Hals.“ Die Frage stellt Tellkamp nicht: Wozu?
Der tritt noch einmal ans Pult, um einen Auszug aus seinem Großmanuskript „Lava“ vorzustellen. Und dieser Auszug, der eine schwarze Satire ist, bietet die starken Gewürze der Gegenwart. Rock’n’Roll statt Gänseliesel. Alles ist drin: Manipulative Medien, anrückende Migranten, überforderte Politiker.
Der Erzähler sitzt in der „1001-Nacht-Abteilung“ eines Großverlages. Er hat ein Impulspapier des „Amtes für Migration und Fortschritt“ (Amf) zu bearbeiten. Der Saal dankt für diese unerwartete Energiezufuhr.
Kleinschmidt nennt es „eine hübsche Geschichte aus der Gegenwart“. Um schnell wieder zum Lob der Natur zurückzukehren. Zu den „geduldigen Pflanzen“. Den „redlichen Tieren“. Der „Landschaft ohne Verrat“.
Aber gibt es die überhaupt? Heutzutage? Man muss nicht erst vom Schloss Ettersburg aus auf den allbekannten Ettersberg schauen, um zu sehen, dass man schon kräftig zwinkern muss, um solche Wünsche durchzuhalten. (mz)