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USA USA: Europa denkt sich Amerika

Von GERO HIRSCHELMANN 19.10.2008, 17:32

HALLE/MZ. - "Amerika, du hast es besser / als unser Kontinent, der alte", schrieb Johann Wolfgang von Goethe in der Gedichtsammlung "Zahme Xenien" bewundernd. Wahrscheinlich ohne es zu wissen, nahm der ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld diese Argumentation in seiner Rede vom "old Europe" auf - und brachte es in Deutschland immerhin zum "Wort des Jahres 2003". Auch der Politologe Andrei S. Markovits zitiert, diesmal absichtlich, Goethe in seinem Buchtitel "Amerika, dich hasst sich's besser".

Vor der Wahl zum Präsidenten der USA ist jedenfalls das ambivalente Verhältnis Europas zu den Vereinigten Staaten mal wieder ein Thema. Überschwängliche Begeisterung für amerikanische Popkultur und Lebensweise ist dabei oft konterkariert mit hochmoralischem Anti-Amerikanismus. Nur: Wie ist Amerika, gerade im Gegensatz zu Europa, wirklich? Bei der Beantwortung dieser Frage kann ein schmaler Band wertvolle Dienste leisten, den der Psychotherapeut und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick 1978 erstmals vorlegte und der jetzt in einer verbesserten Neuauflage erschienen ist. Darin nimmt sich der in Österreich geborene und vergangenes Jahr in Kalifornien gestorbene Wahl-Amerikaner eines Landes an, das "markigen Individualismus" und "Hochachtung für das Kollektiv" ebenso zwanglos verbindet wie Freizügigkeit und Prüderie oder Weltoffenheit und Paranoia.

Manche von Watzlawicks Erkenntnissen sind zwar überholt oder nur für Touristen interessant, sobald der Autor aber grundsätzlich wird und den "Homo americanus" im Vergleich zu den Europäern untersucht, gewinnen seine Aussagen an sinnstiftender Aktualität und Relevanz. Schon im Vorwort heißt es: "Amerika ist die große Projektion Europas". Die USA werden laut Watzlawick immer wieder erst "zum Ideal gemacht" und dann "sofort verdammt", wenn sie "unseren naiven Vorstellungen entweder überhaupt nicht entsprechen" oder auch nur anders sind, als sie "laut uns sein sollten".

Ein schönes Beispiel dafür ist die abgrundtiefe Abscheu, die viele Europäer dem US-Präsidenten George W. Bush entgegenbringen. Der ist neben dem Irak-Krieg vermeintlich auch für Todesstrafe, Waffengesetze, Gesundheitswesen und Bildung zuständig - eine Meinung, die auch Oscar-Preisträger Michael Moore in seinen Filmen gerne transportiert. Nur ist Bush für wohlmeinende Appelle à la "Elektrischen Stuhl abschaffen" oder "Zugang zu Waffen reglementieren" schlicht und ergreifend der falsche Adressat. Innenpolitisch hat der amerikanische Präsident nämlich kaum etwas zu sagen. Die Vereinigten Staaten sind tatsächlich, das, was ihr Name behauptet: eine Vereinigung souveräner Staaten, die nur wenige Aufgaben an die Bundesebene delegiert haben, sonst aber autonom handeln.

Daraus erklärt sich beispielsweise auch die relativ geringe Beteiligung der Amerikaner an Präsidentenwahlen: Im Gegensatz zu Deutschland spielt der Bund für das Leben der Durchschnittsbürger eine eher untergeordnete Rolle. Viel wichtiger für die Amerikaner sind Länder und Kommunen, wo sie außerdem großen und direkten Einfluss haben. In dem Weblog "USA erklärt" heißt es dazu ironisch: "Wer nachts nicht schlafen kann, weil er sein Leib und Leben durch George W. Bush bedroht sieht, für den gibt es eigentlich nur eins: Ab in die USA!"

Voreingenommenheit und Unkenntnis bilden so eine Allianz, die wirkliches Verständnis oft verhindern. Watzlawick macht dann auch keinen Vorschlag, ob Amerika oder Europa - unter welchem Blickwinkel auch immer - besser zu bewerten sind. Sein Buch ist eher ein radikales Plädoyer dafür, die "furchterregende Möglichkeit des Andersseins" zu ertragen. Eine Möglichkeit, die viel zu selten ins Kalkül gezogen wird.

Paul Watzlawick: "Gebrauchsanweisung für Amerika", Piper, 160 S., 12,90 Euro