Uraufführung in Dresden Uraufführung in Dresden: Karl May erobert die Oper

dresden/MZ - Es heißt, dass hinter jedem bedeutenden Mann eine starke Frau steckt. Im Falle von Karl May sind es mit Emma und Klara gleich zwei. Im Leben und im Personaltableau, dass der seit 1996 in Dresden lebende Schriftsteller und Essayist Marcel Beyer als Libretto für die erste Karl May Oper geschrieben hat.
Flecken auf der Weste
Die wurde jetzt auf der kleinen Probenbühne der Semperoper Dresden uraufgeführt. Wo auch sonst. Der 1842 in Ernsttahl geborene und 1912 in Radebeul gestorbene Karl May ist hier wer. Und was machen im Abstand der Jahre und im Angesicht seiner Wirkung schon die paar Hochstaplerflecken auf der Kult-Autoren-Weste?
Der Kompositionsauftrag des Hauses ging an den 1956 in Düsseldorf geborenen musikalischen Tausendsassa Manos Tsangaris. Was seine gute sächsische Ordnung hat, denn der designierte Peter-Ruczicka-Nachfolger bei der Münchner Biennale ist seit 2009 Professor an der Dresdner Hochschule für Musik. Was die Freiheit im Kopf anbetrifft, daheim zu sein, wo man will, liefert der nach seiner kriminellen Karriere nur noch schriftstellernde May eine Steilvorlage. Mag sein, dass der geistige Vater von Winnetou und Old Shatterhand die Welt nur in seiner Fantasie bereist hat - als Autor hat er sie real erobert.
Wie schillernd seine Persönlichkeit war, wird zumindest angedeutet. Der sprechende May (Julian Mehne) trägt Sträflingskleidung. Sein Vorbild verfügte ja über Zuchthauserfahrung. Die beiden anderen Alter Egos sind die Sänger Rainer Maria Röhr als (relativ) junger und Julian Arsenault als alter May. Für die Ausstatter Okarina Peter und Dimo Dentler ist es ein Leichtes, in allen drei Fällen äußerliche Ähnlichkeit herzustellen.
Es gibt natürlich auch mal ein Old-Shatterhand-Kostüm, wie es der exzentrische Sachse zuweilen selbst getragen hat. Und der Feder-Kopfschmuck der Indianer kommt auch vor. Ansonsten bleibt es bei einer gemalten Präriekulisse, die die Wände der quadratischen Spielfläche begrenzt. Optisch jedenfalls, denn dahinter ist der sogenannte Projektchor (für je vier Sopran-, Alt-, Tenor- und Baritonstimmen) damit beschäftigt, diverse Geräusche zu machen. Und dann den Chören der toten Großmütter, der Stubenmädchen und Schreibhilfen, der folgsamen Häftlinge oder aufsässigen Haftentlassenen, der sächsischen Indianerkinder oder der Kinogänger für ihre knappen Satzschnipsel und Stichwortbeiträge die Stimme zu leihen.
Zwölf knappe Szenen
In 60 Minuten bleiben die zwölf Szenen knapp. Skizzierte Behauptungen, die dem Publikum eine Ahnung des biografischen Kontexts unterstellen.
Mit gutem Grund, denn gleich nebenan, in Radebeul, gib es Karl-May-Festspiele. Und natürlich ein Museum. Weil Musiktheater ein Genre fast ohne Grenzen ist, geht da alles. Wenn es darauf ankommt, können da auch alle drei Karl Mays und die beiden Frauen (Julia Mintzer und Roby Petrick) gleichzeitig loslegen.
Regisseur Manfred Weiß führt das knappe, zumeist synchron antretende Personal so sicher von Szene zu Szene, wie Erik Nielsen die abenteuerlustigen 15 Musiker der Staatskapelle auf dem Pfad von aufblubbernden Einzelklängen durchs Klanggebirge führt. Da schwirren klingende Sprechblasen durch den Raum, mit lakonischem Witz und abrupten Kürzeln, denen ab und an Arioses entsteigt.
Am Ende war man Karl May zwar irgendwie nahe. Wer aber die große Opernbiografie mit einem gegenstandsbedingten Musical-Touch erwartet, findet die in Dresden nicht. Die Studie über das Innenleben eines auch im Erfolg von den eigenen Dämonen verfolgten Autors, mit einer aparten musikalischen Grundierung, ist aber auch schon mal was! Wem das nicht reicht, der kann ja nach Bad Segeberg pilgern. Oder nach Radebeul.