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«Unter Kontrolle» «Unter Kontrolle»: Den Geheimdienst führte die Partei

Von Steffen Drenkelfuß 01.06.2007, 18:48

Halle/MZ. - Der hallesche Historiker und ehemalige MZ-Journalist Steffen Reichert hat seine akribischen Rechercheergebnisse zum MLU-Stasi-Komplex jetzt als Promotionsschrift vorgelegt. Der Autor, der über ein Jahrzehnt lang Archive durchforstet und Zeitzeugen-Interviews geführt hat, präsentiert mit dem gut lesbaren, zweibändigen Werk "Unter Kontrolle - Die Martin-Luther-Universität und das Ministerium für Staatssicherheit 1968-1989" die erste ganzheitliche Analyse und Bewertung geheimdienstlicher Überwachung einer ostdeutschen Universität. Den Schwerpunkt auf die Jahrzehnte nach der dritten Hochschulreform der DDR im Jahre 1968 setzend, demonstríert Reichert an Sektionen wie etwa der Theologie und Medizin sowie den Überwachungsmaßnahmen beispielsweise gegenüber dem Philosophen Reinhard Mocek oder der Uni-Mitarbeiterin Heidi Bohley die tiefgehende Involvierung der Staatssicherheit an der MLU. Detailliert werden auch die zuständigen Referate XX / 3 und XX / 4 bei der MfS-Bezirksverwaltung Halle beschrieben.

Ende der Legende

Eindrucksvoll räumt Reichert dabei mit der modernen Legende auf, die Stasi habe sich verselbständigt und sei unkontrollierbar gewesen. Er weitet den engen Fokus heutiger medialer Darstellung der DDR als Stasi-Staat und stellt im Breitbandbild die selten diskutierte Verantwortung der Sozialistischen Einheitspartei als Anweiser des MfS klar. Reichert belegt, dass insbesondere ohne Auftrag und Mitarbeit der SED-Bezirksleitung und der Universitätsparteileitung für die Tschekisten an der Uni gar nichts ging. Eindrücklich wird gezeigt, vor welchen auch unfreiwillig komischen Problemen die Stasi etwa bei der Überwachung der Sektion Germanistik und Kunstwissenschaften stand. Dort existierten argwöhnisch beäugte Kontakte der Lehrenden und Lernenden zu Schriftstellern und Künstlern, die "mit ihren Mitteln in der Lage waren, nicht nur Gegenöffentlichkeit herzustellen, sondern auch im Westen Gehör zu finden."

Daumen runter

Problem der Stasi: Bildhafte Sprache und die Nutzung von Metaphern blieb den Tschekisten bei der strafrechtlichen Bewertung von Texten und Aussagen bis zum Schluss ein Gräuel, denn sie waren diesbezüglich schlicht intellektuell überfordert. Ein Problem, das die Stasi zu lösen wusste: Sie bediente sich etwa des angesehenen Germanisten Rüdiger Bernhardt. Dieser Hochschullehrer mit unstrittigen "fachlichen Kompetenzen", verfasste als IM "Faust" jahrelang Gutachten zu literarischen Werken regionaler Autoren. Er hob und senkte den Daumen bei der politischen Bewertung ausgewählter Studenten - zum Schaden derselben.