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Umberto Eco Umberto Eco: Barbarossa darf nicht sterben

31.08.2001, 22:42

Halle/MZ. - Lügen haben kurze Beine, sagt der Volksmund. Was er nicht sagt: Bevor die Beine als zu kurz gelten, sind sie zunächst einmal sehr schnell. Bevor eine Lüge öffentlich als Lüge erkannt wird, lebt und webt sie voran als blitzgeschwindes, funkelndes Gerücht. Noch das kleinste ist ein hochwirksames Aufputschmittel.

Das, was durch kalkuliertes Hörensagen zu Ohren kommt, ist eben kein "Opium", sondern "Ecstasy" fürs Volk. Kaum hebt sich eine Herrscherhand, die verspricht, dass hinter den sieben Bergen Milch und Honig in Fülle fließen sollen, scharrt schon das Volk mit den Füßen. Oder weil es erfahren hat, dass die Heiligen drei Könige noch immer auf Tournee sein sollen. Oder dass heute der neue Roman von Umberto Eco erscheint.

Letzteres ist kein Gerücht. Der Semiotik-Professor aus Bologna hat sich noch einmal ein Schreiberherz gefasst und ist hinabgestiegen in seine kunterbunten, spinnwebvernetzten Mittelalter-Archive. "Baudolino" heißt der neue Wurf und dessen literarische Versuchsanordnung ist bestes Eco-Muster. Ein Rätsel, das der Kern eines Gerüchtes ist, wird über Generationen fortgeflüstert. Und dieses Rätsel gebiert neue Rätsel - samt allen romanesken Begleiterscheinungen: Visionen, Affären, Mord und Totschlag am Ende. Die zum Auftakt noch schöne Sache wird wie im Galopp hochkriminell. Und bleibt doch stets lehrreich. Im schaurigen "Huhu!" darf das "Aha!" des Lesers nicht verstummen.

Des neuen Buches Kern ist das Rätsel um den Tod Barbarossas: Ist Friedrich I. (1122-1190), deutscher König und römischer Kaiser, während des dritten Kreuzzuges beim Baden im heute türkischen Flüsschen Saleph ertrunken? Rotbart, der Tausendsassa, der athletische Schwimmer? Kaum zu glauben, meint Eco, und läuft dem Rotbart hinterher. Ein Rätsel bleibt nie allein: Der heilige Gral blitzt auf und die Rede vom Reich des Priesters Johannes, eine Legende, die im 12. Jahrhundert behauptete, dass weitab in Fernost ein christliches Himmelreich auf Erden existiere.

Ecos Medium heißt Baudolino. Ein fiktiver Jüngling ist er, um 1143 im oberitalienischen Alessandria geboren: auf dem Kopf ein Schopf "rotblonder Haare, der seinem Kopf etwas Löwenhaftes verlieh". Baudolino ist armer Leute Kind, ein Spötter und Fabulierer, der jede Fremdsprache schnell adaptiert.

Als Problem seines Lebens benennt er, "daß ich nie klar und deutlich getrennt habe zwischen dem, was ich wirklich sah, und dem, was ich sehen wollte". Wir dürfen in Baudolino ein Alter Ego seines Erfinders entdecken, auch Eco ist ein Kind der Stadt Alessandria. Allein Baudolino wurde vom Kaiser Rotbart adoptiert. Er dient ihm als Propagandist und Arrangeur großer Weihen. Er fälscht einen Brief des Johannes an Barbarossa, schleppt den Gral heran, begleitet den Kaiser bis in den Tod und macht sich mit einer Handvoll Freunden auf den Weg, um das Reich des Johannes zu finden.

Vor allem aber ist Baudolino ein Lügner, einer, der stets das Gute will und eigentlich auch schafft. Und es ist die Lüge in all ihren Phänomenen, Risiken und Nebenwirkungen, die Ecos Roman den kulturphilosophischen Überbau liefern soll. Der Mensch will ab und an belogen sein; er braucht die Verheißung, die wie die Mohrrübe zwischen den Augen eines Esels wackelt. Legenden, wenn sie das Volk ergreifen, schaffen Fakten und jedes administrierte Wahnsystem schafft eine Logik, die schnell kein Ausscheren mehr erlaubt. Hinzu kommt, was Psychologen die Self Fulling Prophecy nennen, die sich selbst realisierende Vision. Baudolino sagt: "Ich hatte noch nicht begriffen, daß man, wenn man sich andere Welten vorstellt, am Ende auch diese verändert".

So fabelt sich Baudolino durch den Roman seines Lebens, den er 1204 in der Rückblende dem Historiker Niketas referiert - im Fenster brennt Konstantinopel. Und weil Baudolino auch als Lügner ein Kind seiner Zeit ist, geht die Reise bis in mittelalterliche Fantasy-Regionen, hin zu Skiapoden (Schattenfüßler) und Kynokephalen (Hundeköpfige). Am Ende aber ist der Gral nur ein Kübel, das Reich des Johannes ein Bluff und Barbarossa starb tatsächlich im Fluss. Und der Leser fragt sich: Ist Baudolinos Report ein Leben oder auch eine Lüge?

Die Antwort, leider, ist überflüssig. Denn das, was Eco serviert, hat man, wenn man Eco kauft, nicht bestellt. In der ganzen Story waltet etwas Mutwilliges. Hier gibt sich ein Autor Mühe. So gerät der Roman länglich statt lang, geschwätzig statt unterhaltsam, Krimskrams bietet er statt Krimi, seine Denkspiele erregen auf der Höhe von Kreuzworträtseleien.

Eco schrieb diesen Roman, weil er sehr gern über Themen schreibt, die er persönlich sehr gern hat. Das reicht eben nicht immer. Der Roman-Überbau schrammt am Banalen nicht nur vorbei, die Figuren bleiben papieren, Rotbart ein Trottel. Baudolinos Freunde ziehen so abgewrackt wie die Bremer Stadtmusikanten durchs Buch. Die pfiffen: Etwas Besseres als den Tod finden wir allemal. So gut hat es der Eco-Leser nicht. Nur einmal, nachdem Baudolino die ziegenbeinige Hypathia geliebt hat, will man wissen, was da noch kommen kann.

Die Wahl des Fantasy-Segments erweist sich als tückisch: Das glatt Erfabelte unterläuft das zwinkernd Behauptete. Weder ist dieses Buch, wie es der Verlag ankündigt, ein "Schelmenroman", noch ein "Epos über die Mythen und Utopien der abendländischen Kultur". Es ist der Ernstfall eines Autors, der die heitere Kür von einst in der humorfernen Pflicht von heute nachstellt.

Umberto Eco ist noch einmal hin-abgestiegen in sein kunterbuntes, spinnwebvernetztes Mittelalter-Archiv. Schön, dass er es mitteilt. Eine Postkarte hätte genügt.

Umberto Eco: "Baudolino", aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber, Hanser Verlag, München, 600 Seiten, 49,80 Mark.