Um Liebe und Macht Um Liebe und Macht: Bravouröse Premiere zum Händelfest-Auftakt der Oper Halle

Halle (Saale) - Die Zeiten, in denen es Händelopern gab, die in Halle noch nie aufgeführt wurden, sind vorbei. Mit den Festspielen 2018 hat die Geburtsstadt des Meisters als einzige alle seine 42 überlieferten Opern mindestens einmal im Programm gehabt - eine Leistung, auf die sich Halle etwas einbilden kann. Die 1737 in London uraufgeführte „Berenice, Regina d’Egitto“ war die letzte, die noch fehlte. Gelebte Händelkompetenz hinter den Kulissen, auf der Bühne, im Graben und im Saal.
Wenn sich der Glitzervorhang schließt, fragt man sich: wieso gerade diese Oper erst jetzt? Die Story ist selbst für barocke Verhältnisse unübersichtlich. Aber sie bietet melodische Abwechslung, dramatischen Bravour und jede Menge Arienfutter für Interpreten, die Lust darauf haben, sich in Szene zu setzten.
Der inspirierende Dirigent Jörg Halubek und ein Händelfestspielorchester in Hochform machen auch aus jeder Nummer einen musikalischen Leckerbissen. Und Regisseur Jochen Biganzoli lässt auch szenisch die Post abgehen. Da reißt sich einer im Furor der Leidenschaften sogar schon mal die Klamotten vom Leib. Und man fällt übereinander her. Ohne Mordabsicht.
Entfesselte Bühnenshow
Biganozli, Wolf Gutjahr (Bühne), Katharina Weissenborn (Kostüme) und Konrad Kästner (Video) nehmen das Ganze nicht nur als (pseudo)historisches Drama über römische Heirats- und Machtpolitik, um die ägyptische Provinz auf Linie zu bringen. Sie entfesseln eine Bühnen-Show, in der Politisches und Amouröses bunt durcheinander wirbeln und die Akteure zwischen privaten Ambitionen und der öffentlichen Rolle, die sie spielen (sollen), stehen.
Dass der Unterschied zwischen dem Senat im alten Rom und dem im Washington dieser Tage mit politischem Hü und Hot nicht allzu groß ist und persönliche Karriere- oder Lebensplanungen eher zweitrangig sind, ist der Nenner, auf den Biganzoli das Intrigenspiel bringt.
Äußerlich kommt dabei eine Melange aus Twitter-, Chat- und Selfie-Manie sowie Allonge-Perücke und Damast-Dekolleté heraus. Alle sind in eine Tretmühle der Fremdbestimmung eingespannt. Alle jagen auf der Drehbühne von einem der acht Räume in den nächsten. Jeder hat seine Garderobe, in der er Luft holen kann für den großen Auftritt.
Das Publikum wird durch Übertitel und eingeblendete WhatsApp- oder Twitter-Nachrichten auf dem Laufenden gehalten. Wer das nicht mag (oder eine Videoallergie hat) wird von einem spannenden Kampf zwischen Bilderopulenz und vokaler Prachtentfaltung in Atem gehalten, wie es ihn in Halle lange nicht so geschlossen gab.
Wenn sich dann der smarte Demetrio (Counter Filippo Mineccia) so in Rage singt, dass er erst sein Hemd zerfetzt, hernach den Stecker zieht und so den Bilderlärm zum Schweigen bringt, ist das eine selbstironische Pointe der Regie, die den einsetzenden Applaus für den fabelhaften Italiener gewiss noch beflügelt hat. Mineccia überzeugt als Liebhaber, der die „Falsche“ liebt, voll und ganz. Romelia Lichtenstein wirft sich als personifizierte Händelkompetenz der Oper Halle voll in die Titelpartie. Ob auftrumpfend oder berührend - wie vor dem offenen Kühlschrank beim nächtlichen Frust-Eisessen und beim Duett mit der Oboe, für das sie in den Graben zu Thomas Ernert wechselt.
Naturtalent ist die Sensation
Auch Svitlana Slyvia als flippige Schwester der Königin und Geliebte Demetrios ist voll bei der (Händel-)Sache. So wie Robert Sellier mit seinem geschmeidigen Tenor als schmieriger römischer Botschafter. Franziska Gottwald als Arsace (im Wechsel von der Putzfrau zum leer ausgehenden Heiratskandidaten - aber das ist eigentlich auch egal) und der stimmgewaltige Ki-Hyun Park als Spielmacher komplettieren das Festspiel-Ensemble.
Die eigentliche Sensation aber ist der Südamerikaner Samuel Mariño. Anfang der Zwanzig, ohne Bühnenerfahrung. Offensichtlich ein Naturtalent. Ein männlicher Ausnahmesopran am Anfang seiner Karriere. Und wir können sagen: Wir sind dabei gewesen! Er soll nach dem Willen Roms Berenice heiraten und will das auch. Am Ende hat sie ein Einsehen, was man nach dieser Sternstunde des Händelgesangs gut verstehen kann!
Kann sein, dass es dem einen oder anderen zu viele Display-Wirklichkeiten sind. Das ist auf der Bühne nicht anders als im Leben. Aber Jochen Biganzoli gelingt das Kunststück, ein Personal aus fernen Zeiten als Menschen von heute zu zeigen. Es ist imponierend, mit welcher Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit sie sich zum fabelhaften Gesang allesamt auf der Bühne bewegen, immer wieder Selfies machen und pausenlos herumchatten. Und uns allen einen Spiegel vorhalten.
Mit dieser Eröffnungspremiere hat die Oper Halle einen grandiosen Start der Händel-Festspiele hingelegt.
››Nächste Aufführungen am 2. Juni um 19 Uhr sowie am 7. Juni um 19.30 Uhr im Opernhaus Halle
(mz)