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Udo Lindenberg wird 70 Udo Lindenberg wird 70: Hinterm Horizont geht's weiter

Von Andreas Montag 14.05.2016, 20:33
Udo Lindenberg war ein Star, der den Zenit hinter sich zu haben schien. Dann kam die späte, zweite Karriere. Am 17. Mai 2016 wird er 70 Jahre alt.
Udo Lindenberg war ein Star, der den Zenit hinter sich zu haben schien. Dann kam die späte, zweite Karriere. Am 17. Mai 2016 wird er 70 Jahre alt. dpa

Halle (Saale) - Der Mann mit dem Hut. Der Typ, der so unvergleichlich nuschelt und nölt. Der Erich Honecker zum Ablachen freigegeben hat mit seinem „Sonderzug nach Pankow“. Der schon ein paar Mal totgesagt war. Der coole Hund, dem die scharfen Sachen zu gut schmeckten. Und nun der Überflieger unter den deutschen Pop-Athleten ist. Nichts, was man nicht schon wüsste über Udo Lindenberg, der am Dienstag 70 Jahre alt wird. Und immer noch nicht genug, um zu erklären, warum einem der Kerl eigentlich so nahe ist wie ein guter Freund.

Dabei waren die wenigen persönlichen Begegnungen mit Lindenberg journalistisch eher unspektakulär. Er hat auf Fragen zwar freundlich und wortreich geantwortet, aber beim Anhören der Tonbandaufzeichnung war dann kaum zu erschließen, was uns der Dichter hatte sagen wollen. Aber das Reden ist Lindenbergs stärkste Seite nie gewesen, schon gar nicht früher, als er noch gesoffen hat.

Das soll, so sagt er heute, vorbei sein. Man kann es ihm nur von ganzem Herzen wünschen. Einmal, als er Anfang der Neunziger nach einem Konzert in Halle fix und fertig von der Bühne stolperte, mit tiefgefurchtem Gesicht und erschreckend mager, hätte keiner, der diese Momentaufnahme sah, einen Schein darauf gewettet, dass dieser Mann noch viele Sommer sehen würde.

Doch das gehört eben auch zu Lindenberg, den neuerdings alle Welt Udo nennt: Er singt nicht nur davon, dass hinter dem Horizont nicht Schluss ist - er beweist es. Seit ein paar Jahren geht es nur noch aufwärts mit dem Star, der schon völlig abgeschrieben war. Bis sich der Zeitgeist, der uns auf Retro trimmt, mit Lindenbergs Beratern in der Mitte getroffen hat. So wurde der selbsternannte Panikrocker, der als Schlagzeuger begann und die deutsche Sprache in seiner Branche durchzusetzen half, wiedergeboren und von einem unter mehreren Helden zur Ikone befördert.

Das Styling rechnet sich bestens, der Udo ist ein wahrer Goldesel, der Dukaten kackt, dass es nur so scheppert im Topf. Am 20. Juni geht Lindenberg wieder auf Stadiontour, immer sind die ersten Adressen gebucht, immer wird die Bude voll sein - auch bei den Konzerten am 25. und 26. Juni in der Leipziger Red-Bull-Arena, die früher einmal Zentralstadion hieß. Und doch würde dieses Geschäftsmodell nicht annähernd so glänzend funktionieren, wäre Lindenberg seinem Markenkern nicht treu geblieben: Ein charmantes Großmaul, sentimental, aber höchst verbindlich gegen Nazis und für Menschenwürde.

Ein Song im Radio bringt private Erinnerungen

Wenn Lindenberg auf der Bühne steht, wenn er im Fernsehen zu sehen ist, wenn irgendein Sender wieder ein Lied von ihm spielt und ein schnittiger Moderator so tut, als hätte er mit Onkel Udo schon im Sandkasten gespielt - es beschwört unweigerlich private Erinnerungen herauf.

Wie war das, als Du Deinen ersten Lindenberg-Song gehört hast? Ist er nicht auf dem Mixtape gewesen, das Dir eine Freundin in den Siebzigern zum Geburtstag schenkte, eine knisternde Orwo-Kassette, deren Magnetband sich dann, nach x-maligem Abspielen, im Recorder verhedderte? Ist es nicht dieses Lied gewesen?

„Die Boote sind noch draußen / die Kneipe ist noch leer /außer mir nur der alte Käpt'n / der ist immer hier / der fährt nicht mehr / der sitzt hier jeden Nachmittag und prüft den Rum /doch nach dem dritten Glas schon singt er leise: / Nichts haut einen Seemann um! / ...ihn doch / und er träumt von seinen guten Tagen / da konnt' er zehnmal mehr vertragen ...“

Herbert Grönemeyer, Marius Müller-Westernhagen, Wolfgang Niedecken, Peter Maffay, Dieter „Maschine“ Birr, Klaus Renft und André Herzberg - sie alle haben ihren Platz sicher im aufgeräumten Traditionskabinett des gesamtdeutschen Rock’n’Roll. Lindenberg aber ist ein Sonderfall - neben Rio Reiser, dem Scherben-Mann, der so früh verstorben ist und immer noch betrauert wird.

Weil Lindenberg aber Lindenberg ist, darf er eben auch nicht so mir nichts, dir nichts zum Udo verniedlicht werden. Udo klingt nach seinem Geburtsort Gronau in Westfalen und Nachkriegszeit, es könnten auch Neustrelitz, Riesa oder Merseburg gewesen sein. Einer wie Udo will weg von dort, weit weg. Und er hat Größeres vor.

„Verdammt, wir müssen raus aus dem Dreck“

„Verdammt, wir müssen raus aus dem Dreck“, hat Lindenberg mit Inbrunst gesungen in seiner wunderbaren Coverversion nach „We’ve Got To Get Out Of This Place“ von Eric Burdon und den Animals. Das macht ihm so schnell keiner nach: Eine Stimmung, ein Lebensgefühl derart authentisch aufzunehmen, dass man unwillkürlich davon gepackt wird. Mitspielt, in der Szene agiert, die ja nicht mehr als ein Kunstprodukt ist. Aber eben auch nicht weniger. Lindenberg-Lieder hören ist, wenigstens bei den besten von ihnen, dass Du Dich wie im Kino fühlst und plötzlich neben dem Helden in Richtung der untergehenden Sonne reitest.

Du kennst das nette „Mädchen aus Ost-Berlin“ und bist es selber, der zur Sperrstunde die Hauptstadt des Arbeiter- und Bauernstaats gen Westen verlassen muss, Herzschmerz hin oder her. Und Du bist das Kind, dem einer der großen Entscheider erklären soll: „Wozu sind Kriege da?“ Es ist immer noch ein Gänsehautlied. Und das muss einem nicht peinlich sein:

„Keiner will sterben, das ist doch klar / wozu sind denn dann Kriege da? / Herr Präsident, du bist doch einer von diesen Herren / du musst das doch wissen / kannst du mir das mal erklären? / Keine Mutter will ihre Kinder verlieren / und keine Frau ihren Mann. / Also warum müssen Soldaten losmarschieren / um Menschen zu ermorden - mach mir das mal klar / wozu sind Kriege da?“

Man kann das naiv und gefühlsselig finden. Überhaupt muss man Lindenberg ja nicht mögen. Wie der schon aussieht, mit seinen Zottelhaaren unter dem Hut! Und das Nuscheln, wie gesagt. Aber er hat oft die richtigen Fragen gestellt. Die einfachen, die so verdammt schwer zu beantworten sind. Und er hat viele Menschen an ihr Herz erinnert. Weil er seines nicht verleugnen kann. Auch mit 70 nicht. (mz)