Udo Lindenberg Udo Lindenberg: Keine Panik auf der Titanic

Hamburg/dpa. - Beruf: Udo Lindenberg, das Leben: eineInszenierung - daran ändert auch der 60. Geburtstag nichts. DerPanik-Rocker, der früher mal Journalist werden wollte, würde amliebsten keine Interviews zum Jubiläum «meiner Planetenankunft» amMittwoch (17. Mai) geben. «Es gibt keine Frage zu meinem Leben, die mir noch nicht gestellt wurde. Was ich preisgeben will, habe ich gesagt. Alles andere ist Privatsache», meint der in Hamburg lebende Sänger. «Doch die Medien haben beschlossen, meinen 60. groß zu feiern. Da kommt man nicht gegen an.» Dass dabei oft Alkoholexzesse und Sex-Affären wieder zum Thema werden, nimmt er gelassen. «Für dieLegendenbildung kann das nur gut sein», sagt er grinsend.
Bescheiden war Lindenberg, der die Vorzüge des Erfolgs schon immerals exzessiver Lebemann zu genießen wusste, noch nie: «Das Leben sollsich nach meinen Träumen richten und nicht umgekehrt.» Am Anfangstand eine Art «Masterplan», den der aus dem westfälischen Gronaustammende Sohn des Installateurs Gustav und der Hausfrau Hermine bisins Detail ausgeheckt hatte - getrieben vom Wunsch, «reich undberühmt» zu werden. In seiner Wahlheimat Hamburg entwarf er inSkizzen das Bild vom Rock-Revolutionär. «Markante Silhouette mitenger Beinbekleidung, torkelnde Lindi-Choreografie und deutscheTexte. Strategie-Papiere für den Weg vom Gully zum Gipfel», erzählter und meint stolz: «Die Taktik ist aufgegangen.»
Eigentlich erfolgreicher Schlagzeuger, trat Lindenberg Anfang der70er Jahre in den Vordergrund. Nach dem Vorspiel - vom «Auftritt» alsFünfjähriger in der Stammkneipe des Vaters über die Trommelei imHühnerstall bis hin zu Engagements bei Jazz-Größen wie KlausDoldinger - gelang ein fulminanter erster Akt der LindenbergschenInszenierung: der Durchbruch mit «Andrea Doria» (1973) und demPanikorchester. Singen konnte er kaum, nicht die Melodie gab den Tonan, sondern sein Sprechgesang - die Deutschen horchten auf. Das klanganders als alles, was bis dahin aus den Radios dröhnte. Schon dasfolgende Album «Ball Pompös» brachte Gold, Tourneen wie «Dröhnland»unter der Regie von Peter Zadek wurden zu Meilensteinen.
Figuren wie Elli Pyrelli und Rudi Ratlos, Sprüche wie «keine Panikauf der Titanic» - Lindenberg wurde zum Synonym für eine neueJugendsprache. Mehr als 40 Alben hat er herausgebracht, die Zahlseiner Lieder schätzt er auf rund 550. Doch der Künstler kennt auchdie Tiefen des Showgeschäfts, aus denen er sich aber irgendwie immerwieder selbst rettete. «Ich dachte ja, dass ein solcher Exzessorfrüher von uns geht. Nun bin ich immer noch am Start und fühle michsehr geschmeidig. Vielleicht liebt man mich auch für dieseSchwächen», meint der Künstler, der sich selbst einen «VEB -Volkseigener Betriebs-Sänger» nennt. «Viele sehen in mir eine ArtKumpel, der auch mal durchhängt, sich aber dann wieder phönix-mäßighochrappelt. Meistens duzt man mich sofort, ich finde das charmant»,sagt «Uns Udo», der zu Hamburg gehört wie Michel und Reeperbahn.
Hut und Sonnenbrille, Vorliebe für Eierlikör und das Leben alsDauergast im «Atlantic»-Hotel - so erkennen ihn viele. «Doch nur dieetwa zehn Leute in meinem Lindenclan können behaupten, mich richtigzu kennen», sagt Lindenberg, für den Freundschaft und Vertrauen das«höchste Gut» sind. Misstrauischer ist er geworden. «Zu Gesprächenhabe ich mich schon nachts im Boot auf der Alster verabredet», sagter und fügt schmunzelnd hinzu: «Manches in der Branche ist so geheim,dass man es nicht mal im Selbstgespräch erwähnen sollte.» Von Plänenhat er sich nie abbringen lassen, an seine Träume stets geglaubt.Auch die Teilung Deutschlands wollte der Sänger («Mädchen ausOstberlin», «Sonderzug nach Pankow») und Besitzer eines goldenenTrabbis nicht akzeptieren, schrieb mit einem Konzert im «Palast derRepublik» und der Lederjacke für Erich Honecker Geschichte.
Lindenberg hat sich selbst ein Denkmal gesetzt. Und er arbeitetgewissenhaft daran, es zu erhalten. Eine neue Platte erscheint imHerbst. Seinen Geburtstag will er später mit einem Luftkonzert inBallons und Zeppelinen am Himmel über Berlin feiern. Auch die vom«highligen Panikgeist» beflügelte Malleidenschaft wird immer größer,rund 30 Ausstellungen zeigten schon seine Bilder. Angst hat «ElPanico» nur vor Stillstand - und vor der Übermacht des eigenenLebenswerkes. «Es ist manchmal schwer, mit der Zukunft gegen einesolche Vergangenheit anzukommen. Aber der ewige Pionier, der ichbleibe, hat schon schwierigere Dinger durchgemacht. Ein Seemann wieich schaut sowieso nur vier Tage zurück, aber vier Jahre nach vorn.Und dann immer weiter, hinter allen Horizonten.»