Über Zauberer und Quälgeister: Mankells «Die flüsternden Seelen»
Wien/dpa. - Wallander hat wohl ausgedient. Die Zeit ist reif für innerste Bekenntnisse. 25 Jahre will der schwedische Bestseller- Autor Henning Mankell gebraucht haben, um sein neues Buch «Die flüsternden Seelen» zu schreiben.
Und wieder ist es ein Roman über Afrika, nicht über den erfolgreichen Kommissar, doch diesmal geht es nicht nur um das afrikanische Dasein, über das in «Der Chronist der Winde» ein schwarzer Straßenjunge spricht. Diesmal ist es eine Folge von Episoden über schwarze und weiße Menschen, die über das Ende der Kolonialzeit, Glaube, Flüchtlingsschicksale, Macht und Ohnmacht der schwarzen wie der weißen Bevölkerung in Afrika erzählen. Mankell gelingt sein möglicherweise persönlichstes Werk.
Was unterscheidet Afrikaner von Europäern? Wie endet die Befreiung Afrikas? Und warum führen die großen Fragen zu einfachen Antworten? Mankells Faszination für Afrika scheint ein solches Ausmaß erreicht zu haben, dass er ein Vorwort für nötig hält, um genau diese Faszination zu erklären - auf raffinierte Weise, denn er stößt den Leser in eine verwirrend fremde Welt, überwältigt mit der Fülle der Eindrücke, wie es ihm selbst ein Vierteljahrhundert früher geschah. «Die Flugzeugtreppe hinunterzugehen, das war, als steige man in einen Vulkan hinunter, ohne Sicherungsseil, ohne Wiederkehr», schreibt der Autor.
Mankell hat ein Anliegen. Und das benennt er schon auf der ersten Seite, bezeichnet es als «die größte aller Selbstverständlichkeiten»: «Alle Menschen sind verwandt. Wir gehören zur selben Familie.» Doch der zeitweise in Mosambik lebende Erfolgsautor, der mit seinen in Dutzende Sprachen übersetzten und millionenfach verkauften Wallander- Krimis weltbekannt geworden ist, steht sich ein wenig selbst im Weg. Denn der seltsam uneinheitliche Prolog, in dem sich Fakten, Erinnerungen und lyrische Einsprengselungen bunt vermischen, verstellt zunächst den Blick für einen eigentlich fesselnden und hochraffinierten Reigen von Erzählungen.
Felisberto, ein alter Schwarzer, sitzt als Erzähler wie die Spinne im Netz und versucht, das Ende des Kolonialismus und den Weg Afrikas in die Freiheit begreiflich zu machen versucht - und das immer mit kleinen Erzählungen über Mitglieder seiner Familie. Da ist Felisberto selbst, der einst dem Portugiesen Estefano und seiner Frau Elvira gedient hat. Bis die beiden Weißen während der Befreiungskämpfe des ostafrikanischen Landes zu fliehen versuchten.
Unvermittelt geht es mit Felisbertos Frau Deolinda weiter, die erst dann glaubt, ein Mensch zu sein, als sie ins Gefängnis kommt. Dann folgen ihre Schwester Belina, die als Hure ein besseres Leben führt, oder auch Lukas, der als blinder Passagier nach Frankreich flüchtet und in Paris einem teuflischen Pfandleiher zum Opfer fällt, dem er seine Seele verpfändet, um seiner Frau ein Geschenk kaufen zu können.
Es ist die Geschichte des Unverständnisses zwischen Schwarzen und Weißen - «aus weißen Menschen wird man schwer schlau», sagt Felisberto. Mankell nennt die Weißen ernste Männer, die «in endlosen Karawanen hinauszogen und bereit waren, Menschen zu unterwerfen, die nicht einmal wussten, dass es zur Freiheit ein Gegenteil gibt». Oder: Ein würdiges Leben nach Ansicht der Weißen bedeute, die Handlungen eines jeden fortlaufenden Prüfungen zu unterwerfen - für Afrikaner eine vollkommen unbegreifliche Haltung gegenüber dem Leben, weswegen «die Weißen und die Afrikaner einander von vornherein gegenseitig als Narren betrachtet» hätten. Doch der dies denkt, ist der rassistische Felisberto - oder doch Mankell? Hier vermischen sich die Perspektiven.
Und es sind kleine, wunderschöne Märchen, die Träume und Geister beschwören. Denn die wichtigste Gestalt, die in allen Episoden erscheint, ist die tote Ahnfrau Samima, die im Alter von 312 Jahren starb und noch immer ihre Familie beschützen will. Alles dreht sich um Götter und Geister - wie auch die Weißen für die Afrikaner laut Mankell Zauberer, aber auch Quälgeister waren.
Henning Mankell
Die flüsternden Seelen
Zsolnay Verlag, Wien
256 S., Euro 21,50
ISBN 978-3-5520-5335-9