Wie korrupt ist Deutschland?

Berlin - Vetternwirtschaft, Bestechungsgelder, Korruption - diese Schlagworte bringt man gern mit südeuropäischen Staaten oder fernen Ländern in Afrika oder Südamerika in Verbindung.
Doch wie ist es angesichts diverser Skandale (VW, DFB, ADAC) und nach den Veröffentlichungen der „Panama Papers” damit in der Bundesrepublik Deutschland bestellt?
Dazu wird nun die Reportage „Wie korrupt ist Deutschland?” an diesem Donnerstag (20.15 Uhr) auf Phoenix gezeigt.
Der Autor Steffen Mayer recherchiert bei einer Baufirma mit einem Lockangebot und lässt in seiner informativen, teilweise etwas sehr reißerisch formulierten Reportage diverse Experten, Berater, einen Staatsanwalt, eine Kriminologin und Bestochene (letztere anonym) zu Wort kommen. Bestechende wollten sich vor der Kamera nicht äußern.
In seinem Film landen die Bayern LB und die Konzerne MAN, Ferrostaal, Daimler und Siemens in einer Korruptions-Rankingliste auf den Plätzen fünf bis eins. „Mich hat überrascht, wie weit verbreitet Korruption in Deutschland ist”, sagte Mayer im ZDF-Interview. Gemeinhin denke man bei Korruption ja zunächst einmal an Afrika und Asien. „Aber sowohl die Zahlen des Bundeskriminalamtes wie auch die Angaben zahlreicher Korruptionsermittler und die Erklärungen unserer Experten zeigen ein ganz anderes Bild: Wir haben eindeutig ein Korruptionsproblem. Das Schmieren fliegt nur zu selten auf - und noch seltener kommt es zu großen Prozessen und harten Urteilen.”
Die Nichtregierungsorganisation „Transparency” erwähnt Mayer im Film nur relativ kurz, was verwundert, denn sie erstellt regelmässig einen Korruptionswahrnehmungsindex (CPI). Er setzt sich zwar aus verschiedenen Expertenbefragungen zusammen, gilt aber als eher subjektive Meinungsbefragung. Der CPI misst die in Wirtschaft, Politik und Verwaltung wahrgenommene Korruption; im Januar 2016 umfasste er 168 Länder und Territorien. Danach erreicht Deutschland auf einer Skala von 0 bis 100 (hohe bis keine wahrgenommene Korruption) 81 Punkte - und rangiert auf dem zehnten, im Vergleich aller G20 Staaten auf dem zweiten und innerhalb der EU auf dem fünften Platz. Deutschland hat sich im Vergleich zum CPI 2014 um zwei Punkte und zwei Rangplätze verbessert.
In der Reportage werden jedoch weitere Fakten erwähnt - zumindest für das Jahr 2014. Danach verzeichnete das Bundeskriminalamt (BKA) fast 20 300 Korruptionsstraftaten in Deutschland, wobei die sogenannten Nehmer fast immer mit Bargeld (im Wert von insgesamt 140 Millionen Euro) geschmiert wurden. Der gesamtwirtschaftliche Schaden betrug danach mindestens 358 Millionen Euro. Die tatsächlichen Schadensummen dürften weitaus höher liegen, da die Folgeschäden von Korruption (vor allem bei Genehmigungen und Aufträgen) kaum nachweisbar sind. Die Dunkelziffer wird von Experten auf über 95 Prozent geschätzt - auch deshalb, weil es zu wenige Ermittler und Staatsanwälte gibt, die sich um derartige Fälle kümmern könnten. „Korruption ist effektiv, attraktiv und lukrativ”, sagt der ehemalige Staatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner im Film - es geht immer um viel steuerfreies Bargeld und lukrative oder gar fingierte Aufträge.
Fazit: Es gibt in Deutschland erstaunlich viel Korruption, meistens bleibt sie unentdeckt und wird gerne als Kavaliersdelikt angesehen. Auch deshalb fühlt sich so mancher wohl ermuntert, es einfach mal zu versuchen - weil man ja ohnehin straffrei ausgeht. Dabei spielt es keine Rolle, ob es nur um zehn Euro geht oder wo Bestechung anfängt - zum Beispiel dann, wenn einem Handwerker ein diskreter Umschlag überreicht wird, damit er irgendwo am Bau ein Auge zudrückt? Oder zählt auch ein Gutschein, als Prämie oder Gabe getarnt, dazu? Wie auch immer: die Chancengleichheit, einige Moralvorstellungen und der Glaube an den funktionierenden Rechtsstaat bleiben auf der Strecke, und die Zeche zahlt stets der ehrliche Steuerzahler. (dpa)