Habeck bei "Maybrit Illner" zu Sondierungen Robert Habeck bei Maybrit Illner: "Es gelingt aber doll wird's nicht"
Berlin - Im Berliner Willy-Brandt-Haus sondierten sie, im ZDF-Hauptstadtstudio zwei Kilometer weiter spekulierten sie. Maybrit Illner startete ins neue Jahr mit einer Talkshow über die Versuche, eine neue Regierung zustande zu bringen. „Durchbruch oder Abbruch – Regierung verzweifelt gesucht!“ lautete das wie üblich etwas übertrieben formulierte Motto, denn von Verzweiflung kann kaum die Rede sein. Eher schon herrscht medial doch die Haltung vor: Wir haben keine Regierung, und niemand merkt’s. Vor allem wohl deshalb, weil wir ja eine Regierung haben.
Gäste waren optimitisch
Und so wirkte das Eingangsstatement, mit dem Michael Fuchs vorgestellt wurde, der lange Fraktionsvize der CDU im Bundestag war, etwas deplatziert: „Deutschland müsse wieder handlungsfähig werden“. Aber daraus sprach eben die Hoffnung, dass das neuerliche Bemühen um Einigung nun gelingen möge. Und daran hatten Illners Gäste auch kaum Zweifel, wenngleich Spiegel-Redakteur Markus Feldenkirchen zu bedenken gab, dass die SPD-Verhandler auch gute Laune verströmen sollten, weil sie ja „zweimal vor Gericht“ (ihrer Partei-Gremien) müssten, und Gesine Schwan, Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, forderte, es müsse der Eindruck herrschen, dass etwas wirklich Neues entstehe.
Selbst Robert Habeck, stellvertretender Ministerpräsident in Schleswig-Holstein und grüner Hoffnungsträger, glaubte: „Es gelingt, aber doll wird’s nicht“. Denn man sondiere nicht zunächst, ob es eine gemeinsame Idee gebe.
Minderheitsregierung scheint vom Tisch
Alles wie gehabt also? Nun, das Risiko des Scheiterns ist für die konservativen Spitzenpolitiker höher, denn das würden die Merkel-Kritiker in der CDU ihrer Chefin wohl nicht durchgehen lasen, vermutete Feldenkirchen. Michael Fuchs wollte hingegen niemanden sehen, der Merkel ablösen wolle. Die SPD hingegen, so Schwan, finde bessere Bedingungen vor als im vergangenen September und auch als 2013. Von einer Minderheitsregierung im Falle des Scheiterns der Sondierungen spricht übrigens niemand mehr...
Aber Regieren tut not, denn durch das Land gehe ein Riss, der Zusammenhalt sei gefährdet, so der Tenor eines Einspielers. Anders regieren tut not, fand Sophie Pornschlegel vom Think Tank „Progressives Zentrum“. Sie verwies darauf, dass die junge Generation vernachlässigt werde, weil die unter 30-Jährigen mit ihren 15 Prozent in der Minderheit seien. Es sei eine andere politische Debattenkultur nötig, die Politik sei auf sich selbst fokussiert und denke nur kurzfristig, weshalb Themen wie Bildung und Digitalisierung auch zu kurz gekommen seien.
Geld ist kein Allheilmittel
Robin Alexander, Autor für die „Welt“-Gruppe, war der Auffassung, dass der Riss nicht mit Geld zu kitten, sondern ein kulturelles Phänomen sei: „Wir sind ja kein ungerechtes Land.“ Aber die Verteilung sei das Problem, sagte Feldenkirchen, da sehe er den Riss. Der Spitzensteuersatz (um den es offenbar kurz vor Mitternacht in den Sondierungen vor allem ging) sei nur ein „symbolischen Punkt“.
Der kluge Robert Habeck assistierte: Es gebe ein Grundgefühl, dass es nicht mehr fair zugeht in der Gesellschaft, und Sophie Pornschlegel sah eine generelle Unverhältnismäßigkeit. Und wer jüngst etwa gelesen hat, dass Banken und Finanzhaie mit den „Cum-Ex“-Geschäften den Staat um mehr als fünf Milliarden Euro betrogen haben, dürfte diese Diagnose teilen. „Muss ein Dax-Vorstand denn zwei Millionen verdienen, reicht nicht auch eine“, warf Gesine Schwan ein, die fand, die Idee von einer fairen Gesellschaft müsse man auch „festmachen“ können und dabei eine Kritik an Angela Merkels Mangel an langfristigen Perspektiven anbrachte.
Dem widersprach Michael Fuchs pflichtgemäß, räumte aber immerhin Versäumnisse etwa bei der Digitalisierung ein. Da habe man über Jahre die Telekom geschützt, deren Aktien der Staat längst hätte verkaufen sollen. Der zuständige Minister habe sich stattdessen um die Maut gekümmert, merkte Feldenkirchen an, ohne den Namen des größten Versagers in Merkels Kabinett zu nennen. Doch Alexander Dobrindt ließ sich zudem vom Maut-Konsortium (an dem die Telekom beteiligt war) über den Tisch ziehen und war ja auch noch an der mangelhaften Aufklärung des Abgas-Skandals nicht schuldlos. Dafür spuckt er nun große Töne von einer „konservativen Revolution“ – ignorierend, dass der Begriff eine präfaschistische Konnotation aus der Weimarer Zeit hat, wie Feldenkirchen erwähnte, der die Äußerungen des CSU-Mannes als Signal gegen Merkel interpretierte.
Es reicht nicht nur der Blick auf Deutschland
Habeck begründete, warum die Parole des Europa-Gegners Dobrindt falsch sei: Bürgerliche Ideale ließen sich heute nicht mehr national, sondern nur noch in einem übernationalen, mithin europäischen Rahmen verwirklichen. Und Europa, darin waren sich die Gäste mit SPD-Chef Martin Schulz einig, wird ein wichtiges Thema in den nächsten Jahren.
Ein soziales Europa wäre nötig, postulierte die Politikwissenschaftlerin Pornschlegel, und dass dazu auch die Integration der Zuwanderer gehört, machte Gesine Schwan deutlich. Es sei eine Politik nötig, die konstruktiv mit Migration umgehen kann.
So kann der Streitpunkt Familiennachzug nicht isoliert betrachtet werden. Es ist ja ohnehin grotesk, dass eine sich christlich nennende Partei, die sonst die Familie hochhält, ausgerechnet bei Menschen die Schlimmstes durchgemacht haben, die Familien auseinanderreißen will. Robin Alexander nannte die gesamte Debatte darüber einen Skandal; sein Kollege Feldenkirchen griff zum Mittel der Ironie: Es sei unter Sicherheitsaspekten dringend geboten, Frauen und Kinder nachzuholen. Frustrierte jüngere Männer alleine in Turnhallen hausend könne er „nicht empfehlen“. Und Robert Habeck, der festhielt, dass Integration natürlich eine Herausforderung sei, finanziell wie kulturell, befand kurz und bündig: „Wenn Integration das Thema ist, dann brauchen wie den Familiennachzug.“
„Maybrit Illner“; ZDF, von Donnerstag, 11. Januar, 22.15 Uhr. Im Netz: ZDF Mediathek.