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Streaming Richtiger im Falschen: „Alles Licht, das wir nicht sehen“

Eine neue Netflix-Serie schlängelt zwischen Poesie und Kitsch. Es geht um Nazis. Es geht um ein blindes Mädchen. Es geht um einen Piratensender. Und es geht um Gut und Böse.

Von Christof Bock, dpa 02.11.2023, 11:16
Louis Hofmann als der junge Werner in einer Szene aus „Alles Licht, das wir nicht sehen“.
Louis Hofmann als der junge Werner in einer Szene aus „Alles Licht, das wir nicht sehen“. Cr. Katalin Vermes/Netflix /dpa

Berlin - Ein blindes Mädchen kämpft in der Bretagne 1944 im Alleingang gegen die Nazi-Besatzer. Verkürzt klingt die Handlung von „Alles Licht, das wir nicht sehen“ eher nach einem Groschenroman. Der amerikanische Schriftsteller Anthony Doerr hat damit aber 2015 den Pulitzer-Preis für Belletristik und andere namhafte Auszeichnungen gewonnen. Das Buch hielt sich über Monate in der Bestsellerliste der „New York Times“.

Jetzt hat Netflix in einer Miniserie den Stoff verfilmt. Mit Start 2. November sind die vier Teile dort verfügbar.

In der von den Nazis besetzten Küstenstadt Saint-Malo kreuzen sich kurz nach Beginn der Alliierten-Invasion die Wege von zwei jungen Menschen. Die blinde Marie-Laure (Aria Mia Loberti) aktiviert Abend für Abend ihren Kurzwellen-Piratensender, um ihren Zuhörern einen Jules-Verne-Roman vorzulesen, dessen Brailleschrift sie ertastet.

Zwischen den Worten platziert ist ein Code, den ihr Onkel Etienne (Hugh Laurie, „Dr. House“) im Text versteckt hat. Er verrät den Amerikanern, wo sie Wehrmacht und SS am besten mit Bomben treffen.

In ständiger Gefahr

Während sich Marie-Laure in der zusehends zertrümmerten Stadt allein durchschlägt, hört ihr ein deutscher Soldat mit Leidenschaft zu: Werner Pfennig (Louis Hofmann, „Dark“) ist ein Radio-Genie. Der Absolvent einer Nazi-Eliteschule in Berlin wird von den deutschen Besatzern dazu eingesetzt, illegale Sender aufzuspüren und deren Betreiber an das nächste Erschießungskommando zu übergeben.

Doch Marie-Laure will der Soldat keinesfalls ans Messer liefern. Denn sie sendet auf exakt der Kurzwellenfrequenz, die Werner als Kind jahrelang Nacht für Nacht verfolgt hat. Damals sprach auf dieser Welle ein geheimnisvoller Professor übers Sichtbare und Unsichtbare. Lange schwieg sie. Der Funker hat sie jahrelang abgehört, Kurzwellen reichen Hunderte Kilometer, aber es kam nur Rauschen im Äther. Nun funkt Marie-Laure, die einst zu den Hörern des Professors zählte. Sie muss in derselben Stadt sein, das hört Werner an den Bombentreffern.

Schon das Buch bekam von vielen Kritikern vorgeworfen, es sei zwar astreines Lesefutter, aber keine große Literatur. Und auch die Serie schrammt immer wieder zwischen großer Poesie und großem Kitsch.

Denn obwohl Stars wie Lars Eidinger die böse Nazi-Riege mit Bravur und Wucht verkörpern, bleibt der Zuschauer doch vor allem an dem Sympathieträger hängen: Dieser junge blasse Mann, der von der Straße ins Elitecamp rekrutiert wurde, an die Ostfront mit besonders großem Blutzoll musste und den jetzt Gewissensbisse plagen. Millionen kennen solche Menschen aus den eigenen Familienerzählungen und stellten oft lieber nicht zu viele Fragen. In der Hollywood-Liga sind seit den 1970ern („Steiner – Das Eiserne Kreuz“) solche Figuren eher selten.

Dafür trumpft der Vierteiler mit hochkarätigen Stars auf. So spielt Mark Ruffalo Marie-Laures Vater, der sich mit ihr und einem Juwel auf die Flucht macht. Hauptdarstellerin Aria Mia Loberti hingegen ist völliger Newcomer. Die Geisteswissenschaftlerin stammt aus den USA, hat einen Abschluss in klassischer Rhetorik und wurde unter Tausenden ausgewählt. Und ja, sie ist wirklich blind. Sie rechnete nicht damit, dass sich irgendjemand ihr Bewerbungsvideo ansehen würde, sagte sie im Netflix-Interview: „Ich zog mir eine Bluse meiner Oma aus den 40er Jahren an, stylte meine Haare entsprechend und hatte einfach Spaß.“

Um den Radio-Nerd zu geben, bereitete Louis Hofmann sich intensiv vor. Laut Drehbuch kann seine Figur in weniger als einer Minute ein Radio bauen. „Daher arbeitete Hofmann mit dem Requisitenmeister Marton Szalay zusammen und lernte, wie man in Echtzeit ein Radio baut“, heißt es im Netflix-Presseheft. „Nachdem Hofmann eine Woche lang täglich drei bis fünf Stunden geübt hatte, konnte er ein Radio im Stil der 1940er Jahre in nur 56 Sekunden zusammenbauen.“