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Presseschau Presseschau Helmut Kohl: Zeitungen gedenken verstorbenen Alt-Kanzlers - taz-Titel sorgt für Empörung

17.06.2017, 11:41
Alle Blätter Deutschlands haben sich auf ihren Titelseiten mit dem Tod Helmut Kohls beschäftigt.
Alle Blätter Deutschlands haben sich auf ihren Titelseiten mit dem Tod Helmut Kohls beschäftigt. AFP

Berlin - „Vielleicht der glücklichste Kanzler Deutschlands“, titelt die italienische Zeitung „La Repubblica“ mit Blick auf Kohls Verdienste um die deutsche Einheit. Doch auch von der „Tragik Helmut Kohls“ ist in Pressestimmen die Rede. Für kritische Reaktionen in den sozialen Netzwerken sorgte der Titel der „taz. am Wochenende“, die unter der Zeile „Blühende Landschaften“ üppigen Grabblumenschmuck samt einer Birne über einem Trauerflor zeigt. Karikaturisten zeichneten Kohl häufig mit Birnenkopf. taz-Chefredakteur Georg Löwisch entschuldigte sich am Samstag in einem Statement, das mit der Zeile „Das ging daneben“ betitelt ist.

Eine Auswahl der nationalen Pressestimmen vom Samstag:

„Rheinpfalz“ (Ludwigshafen): „Das Erbe Kohls sind die „blühenden Landschaften“ in Ostdeutschland. Mit großem diplomatischen Geschick hat er den schnellen Weg zur Deutschen Einheit eingefädelt. Nun ist diese Einheit immer noch nicht vollendet, und wahrlich nicht alles grünt und blüht da heute. Wer allerdings die DDR kannte und heute nach Dresden oder Erfurt fährt, der sieht, wie vieles sich zum Guten gewendet hat. “

„Helmut Kohl, der Rekord-Kanzler, der Rekord-CDU-Chef - er war ein Mann, den die Menschen bejubelten oder beschimpften”, schreibt die MOPO in ihrem Nachruf. „Die Spendenaffäre nimmt Kohl nicht seinen Platz in der Geschichte. Niemand war bisher so lange wie er Bundeskanzler (1982 bis 1998) und CDU-Chef (25 Amtsjahre). Er war ein begeisterter Europäer und einer der wichtigsten Architekten Europas.”

Die „Berliner Zeitung” schreibt in ihrem Nachruf: „Helmut Kohl war kein geliebter und verehrter Bundeskanzler. Während seiner Amtszeit und danach musste er mit Anfeindungen, Kränkungen und Herabsetzungen leben. Bis zum Schluss, schon fast in Vergessenheit geraten, war er fast der einzige, der an seinen Anspruch auf einen Platz in der Geschichte glaubte. Dass er für seine ,schlechte Presse', der er die Schuld an seinen Rufschädigungen gab, oft mitverantwortlich war, wollte er nicht zugeben.”

Die „Rheinische Post” konstatiert: „Der Verstorbene war ein Deutscher und Europäer (bei Kohl gehörte immer beides fest zusammen), der als einziger Deutscher seiner Generation Weltgeschichte geschrieben hat. Der Mann aus Ludwigshafen war fehlerbehaftet in seinem Hang, Menschen und Umgebung zu dominieren, ja, zu erdrücken.”

Der EXPRESS schreibt im Nachruf zu Helmut Kohl: „Wie kaum ein anderer polarisierte der Machtmensch aus der Pfalz, der Freunde und Weggefährten nach dem Motto „Es kann nur einen geben“ eiskalt fallen ließ, wenn sie ihm Paroli boten. Aber er war ein Mann, der ein untrügliches politisches Gespür hatte, als sich der Wind im Osten drehte.”

„Kohl war ein ,schwarzer Riese'. Auch körperlich eine im Wortsinne beeindruckende Erscheinung”, so schreiben der „Kölner Stadt-Anzeiger” und die „Mitteldeutsche Zeitung“.

„Er war es gewöhnt zu dominieren. Wie politisch, so privat. Seine langjährige Ehefrau Hannelore, mit der er bei Glenn Millers ,In the Mood' angebändelt hatte, ordnete ihr Leben dem seinen unter. Sie ist wohl daran zerbrochen. Im Alter fand der Witwer eine neue, jüngere Frau, die bereit war, sich ihm so unbedingt unterzuordnen wie ihre Vorgängerin aus der Kriegsgeneration. In den Geschichtsbüchern wird auch dies zur Fußnote gerinnen – gegenüber der historischen Leistung des großen Bundeskanzlers Helmut Kohl.”

Über Kohls Rolle als CDU-Chef schrieb der Tagesspiegel: „Sein Machtwille ist Legende, viele haben ihn gespürt, sein Gedächtnis auch. Kohl vergaß nichts und niemanden, im positiven wie im negativen Sinn. Keiner hat die christdemokratische Partei je so gut gekannt wie er, ihre Menschen wohlgemerkt. Er war es, der die Stärken und die Schwächen aller um ihn herum erkannte und nutzte.”

Die Welt erinnert: „Kohl hat mit seiner Steherqualität in der Spendenaffäre zäh und unbeirrbar das Falsche getan. Er konnte nicht anders. Er blieb bei seinem Kurs, als alle anderen schwankten, so wie 1983 in der Raketenkrise, 1989 beim Mauerfall, 1991 bis 1994 im europäischen Neuordnungskonflikt.”

Die „BILD” schreibt: „Für Helmut Kohl vollendet sich sein Lebenswerk. Die Wunde, die quer durch das Trümmer-Deutschland seiner Kindheit ging, ist geschlossen, wird nach und nach verheilen. Gegen den verheerenden Krieg von damals baute er bis zuletzt das Friedenshaus Europa. Der Rest ist Geschichte. Deutsche Geschichte, europäische Geschichte, Helmut Kohls Geschichte. Ein Mann, den viele unterschätzten, manche hassten und vor dessen Andenken sich Deutschland heute verneigt.”

Für kritische Reaktionen in den sozialen Netzwerken sorgte der Titel der „taz. am Wochenende“, die unter der Zeile „Blühende Landschaften“ üppigen Grabblumenschmuck samt einer Birne über einem Trauerflor zeigt:

Sie schreibt: „Bis zu seinem Tod hat er die Namen von angeblichen Großspendern für seine Partei nicht genannt, denen er sein Ehrenwort gegeben haben will. Anders ausgedrückt: Er hat deutlich gemacht, dass er in seiner eigenen Wahrnehmung über dem Gesetz stand. Wieder einmal hatte er eine Affäre 'ausgesessen'. Und wieder einmal hatte er gezeigt, dass er damit gewinnen konnte. Die Hoffnung darauf, dass die CDU-Spendenaffäre jemals endgültig aufgeklärt werden kann, wird nun wohl gemeinsam mit Helmut Kohl begraben.”

Internationale Pressestimmen

„L'Alsace“ (Frankreich): „Helmut Kohl hat - geschwächt durch die Affäre der schwarzen Kassen - sicherlich seinen Abschied verpatzt. Es war Angela Merkel, die ihren Mentor von der politischen Bühne gedrängt hat. Aber indem sie gestern Abend ihre Anerkennung für sein Handeln aussprach, gibt Merkel, die unter der kommunistischen Diktatur aufwuchs und studierte, ihm seinen Platz im Pantheon der großen Männer wieder.“

„Guardian“ (Großbritannien): „Kohl mag sich von Bismarck so sehr unterschieden haben wie Bonn von Berlin. Aber er war ebenso sehr ein Eiserner Kanzler, eisern hinsichtlich seiner Ausdauer, unerschütterlich in seinem Selbstvertrauen. Der Autor mehrerer Bücher, darunter Memoiren, der einst als Helmut II. verspottet wurde, weil er so viel glanzloser war als Helmut I., also Helmut Schmidt, bekommt auch in den Geschichtsbüchern seine Rache: Es war Kohl, nicht Schmidt, der bereitstand, als der Zug zur deutschen Wiedervereinigung vorbeirollte.“

„La Repubblica“ (Italien): „Vielleicht war Helmut Kohl der glücklichste Kanzler Deutschlands. Der, der die schmerzhafteste Wunde geschlossen hat, die, die nach dem Krieg Millionen von Familien in zwei geteilt und zerstört hat und halb Berlin in eine Gefangenen-Enklave in Ostdeutschland verwandelt hatte. (...)“

„de Volkskrant“ (Niederlande): „Wie jeder andere war auch Helmut Kohl überrascht von den schnellen Entwicklungen im November 1989. Aber er reagierte darauf auch blitzschnell. Ungeachtet des Widerstands der britischen Premierministerin Margaret Thatcher (mit ihren berühmt gewordenen Sprüchen: „Mir sind zwei Deutschland lieber als eins.“ und „Zweimal haben wir die Deutschen geschlagen. Jetzt sind sie wieder da.“) und des Zögerns des französischen Präsidenten François Mitterrand (wird Europa nun ein „deutsches Europa“?) ergriff Kohl die Chance.“

„Neue Zürcher Zeitung“ (Schweiz): „Natürlich lässt sich an einzelnen Entscheidungen von Spitzenpolitikern immer herummäkeln. Kohl machte dabei keine Ausnahme. Die wahre Größe von Staatsmännern zeigt sich, wenn sie im richtigen Augenblick das Richtige tun. Als am 9. November 1989 in Berlin die Mauer fiel, wusste Kohl intuitiv, was die Stunde geschlagen hatte. Er sah die Chance und ergriff sie. Er, dem immer nachgesagt worden war, Probleme auszusitzen, ging hohe Risiken ein.“

„Tages-Anzeiger“ (Schweiz): „Gewiss, es war auch ein historischer Zufall, der Kohl zum gefeierten Vater der deutschen Einheit machte. Wäre die Mauer nicht gefallen, hätte er dazu vielleicht nie die Chance gekriegt. Doch es stimmt auch, dass der Kanzler in den entscheidenden Monaten 1989/90 sehr viel richtig gemacht hat. Die Skepsis gegen die deutsche Wiedervereinigung war anfänglich groß. Nicht nur in Moskau, auch in Paris und London. An eine Eingliederung eines neuen Deutschland in die Nato wagte man gar nicht zu denken – zu strikt waren die Sowjets dagegen. Doch Kohl gelang das Unmögliche.“

„De Standaard“ (Belgien): „Helmut Kohl, der Mann der deutschen Einheit, der Verankerung des vereinten Deutschlands in Europa und des Euro, der die europäische Einheit unumkehrbar machen soll, vermisste bei vielen der heutigen europäischen Spitzenpolitiker europäischen Idealismus. Zu seinen letzten Worten gehörte die Mahnung, dass viel auf dem Spiel stehe, es gehe um unsere Zukunft und „unsere Zukunft heißt Europa“.“ (red mit dpa)