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Neue Heimat Flüchtlingslager

20.06.2016, 22:01
Syrische Flüchtlinge in einem Lager in Jordanien. Foto: Jamal Nasrallah
Syrische Flüchtlinge in einem Lager in Jordanien. Foto: Jamal Nasrallah EPA

Berlin - Die Welt ist in Unordnung geraten, in vielen Erdteilen herrschen Krieg, Vertreibung, Elend und Hungersnöte. Das hat zur Folge, dass immer mehr Menschen auf der Flucht sind.

Die TV-Dokumentation „Neue Heimat Flüchtlingslager” an diesem Dienstag um 20.15 Uhr auf Arte will zeigen, was das für die Flüchtlinge bedeutet und für die Menschen, die ihnen in den vielen Lagern helfen wollen.

Ein junger Mann ist aus Burundi nach Tansania geflohen, hat Eltern und Brüder verloren, fühlt sich im Aufnahmelager bedroht. Er wird mit vielen anderen in ein vermeintlich sicheres Lager gebracht, wo er sich aber nicht frei bewegen kann und auch nicht arbeiten darf. Dort leben bis zu 130 000 Menschen - etwa so viele wie in einer mittelgroßen deutschen Stadt. „Hier fühle ich mich auch nicht sicher. Doch nach Hause kann ich nicht zurück, da ich kein Geld mehr habe”, sagt der Mann. Aber auch Flüchtlingshelfer werden bedroht und angegriffen und gehen so immer mehr auf Distanz zu den Flüchtlingen.

Es äußern sich im Film einige Ethnologen oder Migrationsexperten, die solch ein Lager zunächst als Ersatzstaat, aber vornehmlich als Ausdruck der Handlungsunfähigkeit der Politik sehen. Sie üben insbesondere Kritik am UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, das ihrer Ansicht nach wie ein bürokratisches Monstrum oder wie ein eigener Staat funktioniert. Zu Wort kommen Architekten, die vor der Aufgabe stehen, ein zugleich menschenwürdiges und funktionales Lager zu planen und zu bauen. Zu sehen ist ferner, wie schwierig es ist, überhaupt Grund und Boden für die Errichtung eines Lagers zu bekommen und welche Vorschriften seitens der Behörden und welche finanzielle Beweggründe für Gemeinden dabei eine Rolle spielen.

Der Direktor des Refugees Studies Center an der Uni Oxford, Alexander Betts, sagt im Film: „Diese Menschen leben in einem neuen Staat, der nichts mit den normalen Strukturen anderer Länder zu tun hat. Sie sind nun nicht mehr Bürger eines Nationalstaates, sondern haben eine neue Identität als Flüchtlinge, die von internationalen Organisationen regiert werden, die ihren Sitz meistens nicht in ihrem Aufnahmeland haben.”

Filmautorin Anne Poiret stellt dem Zuschauer einige provokante Aussagen vor: „Stellen Sie sich vor, Sie mussten gerade alles aufgeben. Bis vor kurzem hatten Sie ein Zuhause, eine Familie, einen Beruf - das, was man eine Heimat nennt. Doch Sie mussten fliehen, vor einem Krieg, vor Massakern, vor einem Diktator. Sie haben es in ein sicheres Gebiet geschafft: Damit werden Sie automatisch zu einem Flüchtling, und Ihr künftiges Leben wird sich in einer neuen Heimat abspielen. Das erste, was Sie lernen müssten, ist Schlange stehen: zur Zuteilung der Unterkunft, zur Essensausgabe, zum Klogang.” Und sie zeigt, wie schwierig es für die Bewohner eines Lagers ist, statt mit Bargeld mit einer (karg aufgefüllten) Kreditkarte umzugehen, die allerdings nur in einem einzigen Supermarkt verwendet werden darf, der also ein Monopol besitzt.

Der Film bietet erschütternde Einblicke in den Alltag von Lagern in Kenia, Tansania und Jordanien. Viele Flüchtlinge halten es - aus den verschiedensten Gründen - nicht allzu lange in einem solchen Lager aus, das viele als eine Art von Parallelwelt ansehen. So ein Provisorium kann nämlich ganz schön lange dauern - im Durchschnitt 17 Jahre bleibt ein Flüchtling im Lager -, und derzeit gibt es weltweit etwa 17 Millionen Vertriebene, Migranten und Flüchtlinge, wie es im Film heißt.

Menschen sind wohl nicht dafür gemacht, an jedem Ort der Welt leben zu können. Dabei wäre das natürlich viel einfacher angesichts der vielen Menschenmassen, die aus armen Ländern kommen und in reichen Ländern unerwünscht sind, wo sie weitgehend entrechtet und chancenlos leben müssen. Insofern ist aus dem Film eine starke Kritik an immer mehr Flüchtlingslagern herauszuhören, und er stellt gleichzeitig ein starkes Plädoyer für eine möglichst gelungene und menschenwürdige Integration dar. (dpa)