Markus Lanz Markus Lanz: Autor Stephan Grünewald befeuert Runde mit vielen Merksätzen

Berlin/Köln. - Nur eine gute Viertelstunde Zeit, eine halbe, wenn’s hochkommt – und doch so viele Thesen! Ein Autor, der seine Neuerscheinung bei Markus Lanz vorstellen darf, hat doppeltes Glück: die Gelegenheit, ein breites Publikum zu interessieren; und einen Moderator, der gut vorbereitet ist, hellwach und darauf bedacht, seinen Dialogpartner gut dastehen zu lassen.
Stephan Grünewald weiß das. Er ist nicht zum ersten Mal in Lanz‘ Sendung, und er kennt ihre Dramaturgie: drei, vier Gäste aus unterschiedlichen Lebenskreisen, die von Lanz einzeln befragt, aber bisweilen auch miteinander verzahnt werden. Da kommt es darauf an, im richtigen Moment den passenden Gedanken loszuwerden, der einen im Gespräch hält.
Politischen Vorgängen auf den Grund gehen
Dass an diesem Abend Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt mit in der Runde sitzt, kommt Grünewald zupass. Denn der Kolumnist des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und „Psychologe der Nation“, wie Lanz den Geschäftsführer des Kölner „rheingold“-Instituts mit einem Zitat aus der FAZ apostrophiert, unternimmt in seinem neuen Buch „Wie tickt Deutschland?“ den Versuch, politischen Vorgängen und gesellschaftlichen Stimmungen tiefenpsychologisch auf den Grund zu gehen.
Die Deutschen seien in unguter Weise „aufgewühlt“, weil sie die Sicherheit einer inneren Orientierung – den sprichwörtlichen Kompass – verloren hätten, unter einem Mangel an Wertschätzung litten und zwischen digitalen Allmachtsfantasien (die ganze Welt auf einen Knopfdruck) und analogen Ohnmachtserfahrungen (wie krieg‘ ich bloß meinen Alltag geregelt?) schwankten.
Was Grünewald in seinem Buch einleuchtend und erhellend ziseliert, muss im TV-Format Schraffur bleiben, eingängig formuliert, aber auch – wie Grünewald selbst an einer Stelle sagt – immer in der „Gefahr, dass wir generalisieren“. Macht irgendwie nichts, wenn dabei so schöne Begriffe fallen wie das „digitale Bettkanten-Casting“ für das Online-Dating-Portal „Tinder“, das an die Stelle der guten alten „Partnerwahl mit der Aura der Vergeblichkeit“ getreten sei. Aber Grünewald taktet seine Merksätze so dicht, dass selbst der alerte Lanz sich gehörig ranhalten muss.
AKK-Aufreger als „Ausflucht vor wirklichen Problemen“
Das Aufreger-Thema dieser Tage – Annegret Kramp-Karrenbauers Witzelei über Intersexuelle – dekonstruiert Grünewald umstandslos als „Ausflucht vor den wirklichen Problemen“ des Landes. Andererseits kommt die Runde über den Fragen nach alten und neuen Geschlechter-Rollen auch wirklich besonders gut in Fahrt. „Das überfordert mich total“, klagt Lanz in gespielter Verzweiflung über die multiplen Ansprüche an den modernen Mann. Wenigstens sei er kein Macho, versichert ihm Göring-Eckardt.
Sie muss es wissen, denn im politischen Betrieb, sagt die Grünen-Spitzenfrau, „haben wir schon noch den einen oder anderen Macho“. Wen zum Beispiel? Verrät sie nicht. Doch, halt! Da ist doch „so’n Typ“ wie der Schröder, Gerhard Schröder, der seiner Nachnachfolgerin im Amt der SPD-Vorsitzenden, Andrea Nahles, eben noch attestiert hat, sie könne es nicht. „Unterirdisch“ findet Göring-Eckardt das. Na ja, wendet Lanz ein, immerhin habe Nahles Schröder auch einmal „die Abrissbirne der Sozialdemokratie“ genannt. Die Rache hat 15 Jahre auf sich warten lassen. Jetzt kam sie als Spätlese edelsüß, sozusagen.
Machos und die Typologie des Mannes
Die Machos kommen natürlich auch in Grünewalds Buch vor, in dem ein ganzes Kapitel der Typologie des Mannes gewidmet ist. „Ich rede nicht dem Macho das Wort“, betont der Psychologe, wohl aber einer klaren männlichen Positionierung – im Privatleben wie in der Politik. Hier habe die Demoskopie die Rolle der Frau in der Paarbeziehung übernommen, an deren Erwartungen sich viele Männer – ihres Selbstbildes unsicher – unbewusst orientierten.
Stimmt, sagt Göring-Eckardt und schildert die Last, als Politikerin ständig einem Feedback „in Echtzeit“ ausgesetzt zu sein. „Ich habe einen Gedanken nicht nicht ausgesprochen, da ist schon die Bewertung auf einer Skala von 1 bis 25 da“ – und welch ein Drama, wenn man bei 25 landet…
Lanz ist natürlich Kavalier genug (wenn der Mann von heute das noch sein darf), um nicht zu fragen, ob und wann Göring-Eckardt das passiert sei. Stattdessen gibt er seinen Gästen und den Zuschauern am Ende das Gefühl, dass die Sendung an diesem Donnerstagabend mal wieder ganz weit oben auf der 25er-Skala angesiedelt war. „Tolles Buch“, sagt er zu Grünewald. Mission accomplished.