Kunst mit Kollateralschäden: Das Phänomen Jan Böhmermann

Köln - Jan Böhmermann war mal eine Randfigur. Ein Blick auf die Rückseite seines Buches «Alles, alles über Deutschland - Halbwissen kompakt», Ausgabe 2009 - quasi aus dem Böhmermannschen Frühwerk. Dort ist ein Zitat von Christian Ulmen zu lesen: «Ich kenne Jan Böhmermann vom Sehen». So ein Satz wirkte damals - obwohl von Ironie durchzogen - glaubwürdig.
Böhmermann war ein eher kleines Licht im Medienbetrieb. Heute ist er ein internationales Politikum - ausgezeichnet mit dem Grimme-Preis. Wie hat er das nur geschafft?
Zunächst kurz, was zuletzt passiert ist: Mit einem Gedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hat Böhmermann eine Welle ausgelöst - mal wieder. Das ZDF strich den Beitrag aus der Wiederholung seiner Sendung und aus der Mediathek, die Bundeskanzlerin telefonierte mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu und nannte das Gedicht «bewusst verletzend», was einer Tatsachenbeschreibung gleichkommt. Böhmermann betitelte das Gedicht selbst als «Schmähkritik» und reimte auf dem Niveau eines Pubertierenden Beleidigungen aneinander. Ja, er verletzte bewusst.
Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Dieses werde wegen des Verdachts der Beleidigung von Organen oder Vertretern ausländischer Staaten geführt.
Nun fragen sich wieder viele, was in Böhmermanns Hirn vorgeht. Das Gedicht für sich genommen ist plump, stereotyp, fies - was den Aufschrei vielleicht erklärt. Als Reaktion auf die Kritik der Türkei an einem Satirebeitrag des NDR-Fernsehmagazins «extra 3» mag man die Aktion nicht gut finden, kann sie aber vielleicht verstehen - als praktische Demonstration, was in Deutschland von der Satirefreiheit gedeckt ist und was eben nicht. So oder so muss man sich aber fragen, wie Böhmermann immer wieder so einschlagen kann, obwohl sein «Neo Magazin Royale» (ZDFneo, ZDF) im Fernsehen ein überschaubares Publikum hat.
«Er verfolgt eine gezielte Provokationsstrategie, um Aufmerksamkeit zu erreichen. Diese Themen werden bewusst gesetzt», sagt die Medienwissenschaftlerin Joan Kristin Bleicher von der Uni Hamburg. Sie glaubt, dass es Böhmermann daher geradezu entzückt haben dürfte zu hören, dass er mittlerweile sogar im Bundeskanzleramt Thema ist. Man könne ihn auch nicht als klassischen Fernsehmoderator begreifen. «Böhmermann kann man nicht ohne enge Wechselwirkungen mit dem Social Web betrachten», sagt Bleicher.
Böhmermann ist auf allen Kanälen präsent: TV, Twitter, Facebook, überall. Mehrere Beiträge aus dem «Neo Magazin Royale» sind zu viralen Hits geworden, wie man neudeutsch sagt und was im Prinzip die Währung der neuen Medienwelt ist. Sei es der Varoufakis-Bluff - für den er an diesem Freitag in Marl sogar den Grimme-Preis bekommt -, sein Video «Polizistensohn» oder jüngst der Clip «Be Deutsch!», mit dem er sich in die aktuelle Debatte um Rechtspopulismus einmischte.
All das ist immer sehr stylish produziert und mit vielen Querverweisen für ein Publikum gespickt, das Nachrichten, Serien und Filme ähnlich konsumiert wie Böhmermann selbst. Er vermeidet es dabei, seine Aktionen bis ins Letzte zu erklären, zum Beispiel in Interviews. So ist es auch aktuell. Was er zu sagen hat, sagt er im Böhmermann-Kosmos. Verwirrung inklusive.
Dass Böhmermann dabei einen guten Teil des Publikums auch verschreckt, nimmt er wohl bewusst in Kauf. «Böhmermann will wahrscheinlich gar nicht wesentlich über die Zielgruppe hinaus, die er mit seinem Format adressiert. Das ist eine klare Ausdifferenzierungsstrategie», sagt Wissenschaftlerin Bleicher.
Wer nicht allen gefallen will, kann auch Kollateralschäden akzeptieren. Seien es kleinere wie ein angefressen wirkender Til Schweiger, nach ein paar Böhmermann-Spitzen (Schweiger: «Das ist ein leicht verzogener Bubi, der sich selbst am lustigsten findet»). Oder diplomatische Verwicklungen mit der Türkei. Ein Twitter-User schrieb kürzlich, Böhmermann sei kein Moderator: «Er ist Aktionskünstler. Und zwar ein ziemlich erfolgreicher.» (dpa)