Berliner "Tatort" Kritik zum Berliner Tatort Tiere der Großstadt: Robotik im Gruselkabinett

Köln - Am Sonntagabend lief in der ARD ein melancholischer Berliner „Tatort“ mit dem Titel „Tiere der Großstadt“.
Der Fall
Im winterlichen Berlin müssen Robert Karow (Mark Waschke) und Nina Rubin (Meret Becker) dieses Mal gleich zwei Fälle lösen: Zuerst finden drei Teenager Tom Menke (Martin Baden) leblos in seinem „Robista“-Kiosk, in dem ein Roboter Passanten Kaffee ausschenkt. Dann entdeckt eine Natur-Bloggerin (Stefanie Stappenbeck) im verschneiten Wald die tote Joggerin Carolina Gröning (Tatiana Nekrasov). Verdächtige? Gibt es erst einmal nicht. Nur Angehörige. Karow und Rubin beschäftigen sich mit Roboter- und Türöffnungs-Technik, um herauszufinden, wie manipulierbar diese Systeme eigentlich sind.
Die Auflösung
Erst gibt es keine Verdächtigen – dann wird das Ganze sehr durchschaubar. Carolina Grönings Ehemann Reno (Kai Scheve) offenbart dem Zuschauer in einer Rückblende in Minute 47 bereitwillig sein Tatmotiv. Nachdem sich herausstellt, dass Gröning durch einen Wildschweinangriff gestorben ist, braucht es nur noch eine (sehr plötzliche) Frage von Kommissarin Rubin in Minute 52, um dem Zuschauer die Lösung zu präsentieren: „Hätte die Frau gerettet werden können, wenn jemand bei ihr gewesen wäre?“
In einem Gerichtsfilm würde der Staatsanwalt jetzt sagen: keine weiteren Fragen. In den letzten 40 Minuten gibt es hier keine überraschenden Wendungen mehr. Reno war bei Carolina, als sie starb. Er rettete sie nicht, weil sie sich von ihm trennen wollte.
Auch im anderen Fall ist der Ehepartner – bzw. die Ehepartnerin – schuldig: Kathrin Menke (Valery Tscheplanowa) hat ihren Mann mit moderner Technik ermordet. Sie programmierte den Roboter im „Robista“-Kiosk um, so dass er Tom erstach. Der hatte sich zuvor von ihr getrennt und eine ihrer geliebten Katzen seiner Freundin geschenkt.
Abseits des Falls
Die Stärke dieses „Tatorts“ (Regie: Roland Suso Richter, Drehbuch von Beate Langmaack) ist seine Aufmachung. Sie nimmt den Fokus vom Fall und lenkt ihn auf das Drumherum. Die 90 Minuten sind gefüllt mit vielen schönen kleinen Bildern, mit verschiedenen Perspektiven und Detailaufnahmen. Der Stil wird gleich in der Einstiegssequenz vorgegeben: Zwischen vielen Schnitten, hinterlegt mit angenehm unaufdringlicher Musik (Nils Frahm), erfährt der Zuschauer eigentlich alles über Täter und Opfer, was er wissen muss. Im Gruselkabinett durchschaut man schnell, dass die einzige Funktion dieses Ortes nur ein paar weitere gute Aufnahmen sind (Kamera: Max Knauer).
Auch die Nebencharaktere fallen auf. Sie sind allesamt überzeichnet, das aber meist mit viel Gefühl: Der einsame Albert (stark gespielt von Horst Westphal) kreiert in seiner Wohnung mit Blick auf den Robista-Kiosk immer neue Versionen der Tatnacht. Kathrin Menke (ebenfalls stark von Valery Tscheplanowa) läuft barfuß über knirschendes Katzenstreu und spricht mit gruseliger Monotonie. Natur-Bloggerin Charlie (Stephanie Stappenbeck) und die drei Berliner Jugendlichen wirken zwar recht stereotyp, man schaut ihnen aber dennoch gerne zu.
Die Ermittler haben ebenfalls ihre starken Momente: Robert Karow als jähzorniger Chef, Nina Rubin als anstrengende Beifahrerin, und Kommissaranwärterin Anna Feil (Carolyn Genzkow) als verzweifelte Flyer-Verteilerin, zum Beispiel. Zumindest mit letzteren kann sich hier jeder gut identifizieren, der vergleichbare Situationen kennt.
Das Thema
Robotik. Roboter machen Kaffee, spielen Fußball, stellen in einem Gruselkabinett Eintrittskarten aus. Eine Alexa, die keine Alexa ist, erzählt Karow zu Hause regelmäßig, wie müde er aussieht und bereitet gesunde Säfte zu. Am Ende zeigt ein scheinbar kaltherziger Unternehmer, wie seine Erfindungen Menschen das Leben erleichtern – und zerstreut so alle fortschrittskritischen Gedanken. Die Auseinandersetzung mit dem Thema ist eher optischer als tiefer inhaltlicher Art.
Fazit
Polizeiarbeit spielt in „Tiere der Großstadt“ nur eine untergeordnete Rolle. Karow und Rubin bitten niemandem zum Verhör aufs Revier oder rasen mit Blaulicht durch die Stadt. Wer sich Spannung und Action wünscht, ist hier falsch. Wer aber auch das Begleitspiel, zum Beispiel die Bilder und Nebencharaktere zu schätzen weiß, kann an diesem „Tatort“ trotzdem Freude finden.