Neu im Kino Julia Roberts in „After the Hunt“: Film löst Debatten aus
In „After the Hunt“ gerät Julia Roberts als Professorin in einen Konflikt um sexuelle Belästigung. Luca Guadagninos Film provoziert – und lädt sein Publikum dazu ein, Stellung zu beziehen.

Berlin - Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, ein guter Film brauche sympathische Figuren, mit denen man gerne Zeit verbringt. Manchmal begegnen wir Menschen auf der Leinwand, die uns verstören, irritieren oder gar abstoßen - und gerade das macht einen Film interessant. Luca Guadagninos „After the Hunt“ mit Julia Roberts ist so ein Fall.
Ein Film für das Zeitalter nach „MeToo“?
In dem Drama geht es um sexuelle Belästigung, und niemand der Beteiligten kommt dabei besonders gut weg - auch nicht die Frauen, die Opfer von Übergriffen wurden. Oscar-Preisträgerin Roberts musste den Film nach der Premiere deswegen auch direkt verteidigen. Untergrabe der Film nicht die Ziele der feministischen Bewegung, sei gar ein Film für das Zeitalter nach „MeToo“, fragte eine Journalistin in Venedig.
Das sieht Roberts naturgemäß nicht so. Ziel sei gewesen, das Publikum nach dem Kinobesuch zur Diskussion anzuregen, antwortete sie. „Dass jeder mit unterschiedlichen Gefühlen, Emotionen und Standpunkten herauskommt.“ Dieses Ziel hat Guadagnino definitiv erreicht.
Lohnt sich der Film - und worum geht es?
Das Drama überzeugt mit tollen Schauspielerinnen und einem guten Tempo. Guadagnino („Call Me by Your Name“) ist ein Meister der zwischenmenschlichen Spannung, die er auch hier gekonnt inszeniert. Der Film lohnt sich allein schon wegen Julia Roberts, die den schleichenden Zusammenbruch ihrer Figur mit beeindruckender Präzision verkörpert.
Sie spielt eine Philosophieprofessorin namens Alma Imhoff, die wegen eines Falls von sexuellem Missbrauch zwischen die Fronten gerät. Eine ihrer Doktorandinnen, Maggie (Ayo Edebiri), wirft einem mit Alma befreundeten Dozenten vor, sie sexuell belästigt zu haben. Alma will Maggie unterstützen, ist aber zögerlich und gleichzeitig damit konfrontiert, dass ihr Freund darauf beharrt, Maggie lüge.
Wie Alma unterrichtet dieser Freund namens Hank (Andrew Garfield) in Yale Philosophie und wartet auf seine Festanstellung. Die Vorwürfe seien ein Rachefeldzug, sagt er. Weil er Maggie damit konfrontiert habe, dass ihre Doktorarbeit ein Plagiat sei.
Unterschiedliche Generationen, unterschiedliche Sichtweisen
Alma, die sich am liebsten aus der Sache raushalten würde, gerät immer tiefer in die Eskalation, die der Vorwurf am Uni-Campus auslöst. Sie sichert Maggie ihre Unterstützung zu, will aber erst einmal wissen, was genau passiert sei. Und rät dann von einer Anzeige ab.
Der Generationenkonflikt zwischen den beiden Frauen wird deutlich. Alma hat sich in der von Männern geprägten akademischen Welt jeden Erfolg mühsam erarbeitet – und dafür hohe persönliche Kosten getragen. Maggie kann diese Härte nicht verstehen. „Nicht alles ist dafür da, dir ein gutes Gefühl zu geben“, sagt Alma einmal zu ihr.
Und dann wird mehr und mehr deutlich, dass Alma möglicherweise eine größere Last mit sich trägt, als sie nach außen erkennen lässt. Und dass Maggie, die als Schwarze mehrfach Diskriminierungen ausgesetzt ist, nicht frei von Verfehlungen ist.
Warum Guadagnino Bezug zu Woody Allen nimmt
Einen gewissen Willen zur Provokation kann man Guadagnino in „After the Hunt“ auf jeden Fall bescheinigen. So hat er sich beim Vorspann optisch an den Stil von Woody Allen angelehnt. Dessen Erfolg wird seit langem von Missbrauchsvorwürfen seiner Adoptivtochter überschattet, die Allen abstreitet.
Warum sollte er keinen Bezug zu Allen nehmen, sagte Guadagnino in Venedig. „Die Geschichte hatte eine Struktur, die meiner Meinung nach sehr stark an das großartige Werk von Woody Allen zwischen 1985 und 1991 angelehnt war.“ Außerdem sehe er darin eine „interessante Anspielung auf einen Künstler (...), der in gewisser Weise selbst mit Problemen seiner Existenz konfrontiert war, und auf unsere Verantwortung, wenn wir uns die Werke eines Künstlers ansehen, den wir lieben, wie Woody Allen“, sagte Guadagnino. Man sollte das Werk vom Künstler trennen, ließe sich das wohl übersetzen.
Zumindest Julia Roberts will den Film aber nicht als politisches Manifest verstanden wissen: „Wir formulieren keine Statements, wir porträtieren Menschen in diesem Moment.“ Dass „After the Hunt“ sein Publikum gleichwohl dazu bringt, die eigenen Überzeugungen zu hinterfragen – und sie womöglich klarer zu benennen – versteht sie als Geschenk des Films, wie sie in Venedig sagte. Bevor sie mit einem breiten Lächeln hinzufügte: „Gern geschehen.“