Herr Lenz reist in den Frühling

Berlin - Da hat man sich mühsam eine Existenz aufgebaut, die Ehe läuft scheinbar wie geschmiert, und der Nachwuchs berechtigt eigentlich zu den schönsten Hoffnungen. Doch dann muss man feststellen, dass nichts davon wirklich stimmt.
Darum geht es in dem Film „Herr Lenz reist in den Frühling”, der an diesem Mittwoch (20.15 Uhr) im Ersten zu sehen ist.
Eine Familie sitzt beim Frühstück, irgendwo in einem Reihenhaus eines Berliner Randbezirks, vor dem ein Mittelklassewagen geparkt ist - während drinnen im Flur alle Schuhe sauber aufgereiht parat stehen. Holger Lenz (Ulrich Tukur) muss gleich ins Büro seiner Versicherung, seine Gattin Ilona (Steffi Kühnert) arbeitet als Verkäuferin in einem Brautmodegeschäft, und Sohn Linus (Simon Jensen) hat keinen Bock auf die Schule. Irgendwie reden alle völlig aneinander vorbei - Papa sagt zum Sohn: „Du siehst ja furchtbar aus”, Mama sagt: „Wir sind hier doch nicht im Zoo”, Sohnemann sagt: „Ich hasse Euch”, und der Hund namens Mr. Schmidt verzieht sich unters Sofa.
Später stellt sich heraus, dass Holger Lenz im Grunde von allen mit Missachtung gestraft wird: Seine frustrierte Frau wird ihn verlassen, sein schwuler (und verliebter) Sohn wendet sich ab und verhöhnt ihn auch noch mit einem Videoblog im Internet, der Hund will auch nichts von ihm wissen, und in der Firma ergattert ein Kollege den Posten, der eigentlich Herrn Lenz gebührt.
Dann erreicht ihn auch noch die Asche seines in Fernost verschollen geglaubten Vaters, in eine Waschmittelflasche gestopft, die der Sohn später daheim flugs in der Waschmaschine verstreuen wird („Ach, das kann doch jedem mal passieren”). Wie man später erfährt, war es zum Glück gar nicht Großvaters Asche. Holger Lenz reist daraufhin spontan nach Thailand, wo er die geerbte Wohnung des Vaters verkaufen will - und gerät auf seiner Spurensuche vielmehr auf die Suche nach sich selbst, nach seinem ganz eigenen Frühling.
Regisseur Andreas Kleinert (54, „Die Frau von früher”, „Monsoon Baby”) und Autor Karl-Heinz Käfer haben ihre Tragikomödie als kluges und feinfühliges Portrait eines Anti-Helden inszeniert. Die Dialoge sind überwiegend realistisch und teilweise auch lustig: „Die Mauer war weg, doch zwischen uns beiden war Beton” oder „Unser Haus wird besser bewacht als der antifaschistische Schutzwall”. Erzählt werden gleich zwei Vater-Sohn-Konflikte, und es geht um Abschiednehmen und Ankommen, Entfremdung und Einsamkeit, Verständnis und Zuhören. Die Handlung dreht sich auch um ein verlorenes Elternpaar und zwei unverstandene und verlassene Söhne, über die Kraft der Träume, den gescheiterten Sozialismus und den Mut der Unangepassten.
Ulrich Tukur (58, „Tatort”, „Grzimek”) darf hier - ähnlich wie in „Exit Marrakech” und „Houston” - wieder mal einen Mann spielen, dem im Grunde so gar nichts zu gelingen scheint, was ihm (und dem Zuschauer) sichtlich großes Vergnügen bereitet. „Herr Lenz ist einer unserer vielen Zeitgenossen, die glauben, sich gegen alle Unbilden des Lebens absichern zu können, und die jedes Risiko scheuen”, sagte Tukur im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. „Dass der Angriff auf die festgezurrte Existenz aber immer aus einer Ecke erfolgt, die man nicht bedenkt, ist ihm nicht klar. Und so fliegt ihm sein Leben um die Ohren, kaum dass er sich auf unbekanntes Terrain wagt.”
Das ist alles fein beobachtet und leise erzählt. Irgendwie sind hier alle auf der Suche: Herr Lenz nach seiner verlorenen Kindheit, Frau Lenz nach etwas erfüllendem Glück, Linus Lenz nach Anerkennung - und sein verehrter Großvater (der nach der Wende zunächst nach Vietnam reiste) nach dem verloren gegangenen Sozialismus. Am Ende gibt es eine ebenso überragende wie anrührende Szene auf dem Berliner Fernsehturm, und zumindest Holger und Linus Lenz haben sich gefunden. (dpa)