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"Hart aber fair" "Hart aber fair" mit Frank Plasberg: Kölnerin Shary Reeves lebt trotz Alltagsrassismus "gern in diesem Land"

Von Martin Oehlen 28.08.2018, 07:00
Shary Reeves bei „Hart aber fair“
Shary Reeves bei „Hart aber fair“ WDR/Dirk Borm

Köln - Das ist der Montag nach den Sommerferien: Auf den Straßen staut sich der Verkehr und im Fernsehen gibt es wieder „Hart aber fair“. Das Thema der Talkrunde: „Özil und die Folgen – Steckt in jedem von uns ein kleiner Rassist?“ Sollen wir die Antwort vorwegnehmen? Okay, wir sind alle kleine Rassisten. Und einige unter uns, da gucken wir gerade mal kurz nach Chemnitz, sind auch ziemlich große, ziemlich widerliche Rassisten.

Tuba Sarica

Eine der Leitfragen der Sendung zum Start der neuen Saison lautete: „Wie weit verbreitet sind Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland?“ Das Ergebnis war nicht das, welches man womöglich erwartet hatte. Die Runde erging sich nicht in einem Deutschland-Bashing.

Vielmehr gab es zumeist angenehm differenzierte Stellungnahmen. Unstrittig ist, dass es rassistische Ärgernisse allüberall gibt. Zwar findet die deutsch-türkische Bloggerin Tuba Sarica – die zweimal mit radikaler Erdogan-Kritik auffiel – solche Einlassungen übertrieben. Es sei „manipulativ“, die deutsche Gesellschaft auf Teufel-komm-raus als fremdenfeindlich darzustellen. Sie jedenfalls beteuert, noch keine einschlägigen Belästigungen erfahren zu haben.

Shary Reeves

Aber dass es Diskriminierungen auch im Kleinen gibt, wurde an so manchem Detail deutlich. So schilderte die Kölner Sängerin, Schauspielerin und Moderatorin Shary Reeves, wie vergleichsweise unfreundlich das Verhalten ihr gegenüber beim Sicherheits-Check am Flughafen gewesen sei.

Sie führt dies auf ihre Hautfarbe zurück. Doch andererseits: „Ich lebe gerne in diesem Land.“ Selbstverständlich könnte alles noch viel besser sein. Darum sei es wichtig, sich zu treffen – „von Mensch zu Mensch“.

Mehmet G. Daimagüler

Das hatte zuvor schon der deutsch-türkische Rechtsanwalt Mehmet G. Daimagüler ausgeführt. „Wenn es in Deutschland keinen Rassismus gäbe, wäre es das einzige Land der Welt.“ Er selbst habe sich zuletzt dabei ertappt, dass er auf der Autobahn, als er von einem Kleinlaster geschnitten wurde, gedacht habe: „Verdammter Pole!“.

Man müsse sich eben immer wieder den eigenen negativen Impulsen stellen. Er verdanke alles, was er erreicht habe, seiner Familie und diesem Land. Ja, er hänge an Deutschland: „Gerade deshalb sage ich, dass wir besser werden können.“

Karlheinz Endruschat wird beim Gassigehen mit Hund beleidigt

Dass er ein Rassist sein soll, so sagte es der Essener SPD-Politiker Karlheinz Endruschat, habe er erfahren, als er ein paar Tatsachen zur Migration ausgesprochen habe. Da hätten ihm Freunde gesagt: Das stimme ja alles, aber sagen dürfe man das doch nicht.

Was Endruschat in dieser Sendung auch sagte: Wenn er mit seinem Hund durch Altenessen gehe, werde er von arabischen Anwohnern behelligt – weil die, wie er es darstellte, ein gestörtes Verhältnis zu Hunden haben. Hat man das schon mal gehört?

Carim Soliman

Der deutsch-ägyptische Journalist Carim Soliman, der ebenfalls auf dem Podium saß, hatte davon jedenfalls noch nie etwas gehört. Vermutlich ist die angebliche Hunde-Phobie ein Fall für den Faktencheck.

Borwin Bandelow

Nicht auf dem Podium saß Borwin Bandelow. Der Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Göttingen wurde gleichsam – Achtung, der Fußballer Mesut Özil ist in dieser Sendung der Fixstern – von der Einwechselbank ins Spiel gebracht. Er sagte dann das, was die Runde zuvor schiedlich-friedlich erarbeitet hatte: „Jeder hat so einen kleinen Rassisten in sich.“

Und wir können auch gar nichts dafür. Eigentlich ist die Steinzeit schuld. Denn damals war der Einzelne nichts und der eigene Stamm alles. Für den Stamm ging man durch dick und dünn. Der fremde Stamm war der Feind.

Das wirkt bis heute nach, wenn in unserem Hirn die Vernunft und die Angst um die Vorherrschaft kämpfen. Fremdenangst, so sagte es Bandelow, basiere nicht auf Erfahrung und sei gerade dort besonders verbreitet, wo es keine Fremden gebe. Was kann man dagegen tun? „Konfrontations-Therapie?“ fragte Moderator Frank Plasberg. Darauf Bandelow: „Müsste eigentlich helfen.“

Ach, so. Womit wir wieder bei Shary Reeves‘ „Von Mensch zu Mensch“-Forderung angekommen wären. Mehr reden hilft womöglich – miteinander, nicht übereinander.

Abspann

Wo genau die Grenze zwischen Rassismus und Diskriminierung und Vorurteil und Ahnungslosigkeit verläuft – das wurde in dieser Sendung nicht durchdekliniert. Ist ja auch kein Oberseminar. Aber ein guter Start in die neue Saison war das allemal.

Warum? Weil die Sendung keine Jammerarie anstimmte, weil sie Differenzierung bot, weil die Besetzung nicht auf Krawall gebürstet war und weil ein paar Überraschungsmomente platziert werden konnten. Zwar ist es keine herzwärmende Erkenntnis, dass wir alle kleine Rassisten sind. Aber jetzt wissen wir wenigstens, wer schuld ist: Unsere lieben Stammesbrüder und Stammesschwestern aus der Steinzeit.