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Aussichtsreich und auffällig ESC-Finale: Alle 26 Kandidaten auf den Titel im Schnelldurchlauf

Von Thorsten Keller 11.05.2018, 19:00
Die für Israel startende Netta gilt als eine große Favoritin.
Die für Israel startende Netta gilt als eine große Favoritin. dpa

Lissabon - Am Samstag um 21.00 schaut die Musikwelt nach Lissabon – Portugal ist zum ersten Mal Gastgeber des Eurovision Song Contest. Im ESC-Finale treffen sich unter anderem leicht entflammbare Ungarn, singende Wikinger, eine zypriotische Shakira und eine australische Mariah Carey. Langweilig wird’s jedenfalls nicht. Ein subjektiver Schnelldurchgang.  

Ukraine: Melovin, „Under the Ladder“

Der Auslosungszufall sorgt dafür, dass der ESC 2018 morbide beginnt. Melovin singt zunächst im Liegen, sodann öffnet sich eine Art Sarg und der Künstler wird 90 Grad nach oben gekippt wie Graf Dracula eingangs der Nachtschicht. Später setzt der junge Sänger mit der gruseligen Effekt-Kontaktlinse sogar seine Showtreppe in Flammen. Die Musik: Dutzendware aus der Ostblock-Disco.

Spanien: Amaya y Alfred, „Tu Cancion“

Amaya Romero liebt Alfred Garcia. Und umgekehrt. Das spanische Pärchen zelebriert diese Zweisamkeit auch auf der Bühne. In ihrem Verständnis muss es sich hier um einen Eurovision Schmalz oder Eurovision Sülz Contest handeln. Mit deutschem Text würde „Tu Cancion“ jede Schlager- oder Volksmusiksendung des Mitteldeutschen Rundfunks adeln, ach was: aufmischen.    

Slowenien: Lea Sirk: „Hvala Ne“

Nach der iberischen Edelschnulze ein ordentliche Wachmacher mit metallischem Beat und klirrender Stimme. Nur die flankierenden Aerobic-Tänzerinnen wirken altbacken.

Litauen: Ivea Zasimauskaite, „When We’re Old“
Lebenslange Liebe in guten wie in schlechten Zeiten besingt die Litauerin, Schmalz & Sülz ist kein spanisches Alleinstellungsmerkmal. Warum Ivea dabei ein blassrosa Nachthemd trägt und lethargisch zusammengekauert auf der Bühne sitzt, bleibt ihr Geheimnis.

Österreich: Cesar Sampson, „Nobody But You“
Sympathischer Soulman aus unserem Nachbarland. Sampsons Stimme hätte allerdings einen besseren Song verdient.

Estland: Elina Nechayeva, „La Forza“

Die Sopranistin Elina Nechayeva könnte nicht nur sämtliche anderen Finalisten an die Wand singen, sondern womöglich sogar Gläser zerspringen lassen wie Bianca Castafiore in den „Tim & Struppi“-Comics. Ein sicherer Jury-Favorit – ob auch die Fernsehzuschauer Nechayevas Arie in der Opernweltsprache Italienisch goutieren, ist nicht gewiss. Extrapunkte gibt es für das psychedelische Kreiselkleid.

Norwegen: Alexander Rybak, „That’s How You Write a Song“

Neun Jahre nach dem Triumph mit „Fairytale“ will es der norwegische Stehgeiger Alexander Rybak nochmal wissen. Er fiedelt diesmal wenig und tanzt viel, „That’s How You Write a Song“ ist eine Uptempo-Nummer mit Ohrwurm-Qualitäten. Die Wandlung vom Milchbubi zum skandinavischen Justin Timberlake könnte Rybak den zweiten ESC-Sieg einbringen – das gelang vor ihm nur dem Iren Johnny Logan (1980 und 1987).

 Portugal: Claudia Pascoal, „O Jardim“

Hier sollten die spanischen Sweethearts und das baltische Nachthemd mal genau hinsehen und hinhören: Ballade geht auch mit Stil und Understatement. Für den zweiten portugiesischen ESC-Sieg in Folge wird‘s aber nicht reichen.

Großbritannien: Surie, „Storm“

Annie-Lennox-Lookalike singt ein fades Synthie-Pop-Stück, für das die Eurythmics sich schämen würden. Die sprichwörtliche englische Geringschätzung dem ESC gegenüber manifestiert sich in diesem Beitrag.

Serbien: Sanja Ilic & Balkanika, „Nova Deca“
Sanja Ilic (bitte nicht verwechseln mit Bata Ilic!) ist mit Glatze, voluminösen Backenbart und finsterem Blick genau der richtige Interpret für wabernden Ethno-Pop aus Ex-Jugoslawien. In der Begleitband fällt ein Flötenspieler auf, der wie Catweazle aussieht und engagiert seinen Namen tanzt. Man(n) spricht serbisch!

Deutschland: Michael Schulte, „You Let Me Walk Alone“

Nur mit seiner Akustikgitarre stand Michael Schulte am Donnerstag auf der kleinen Bühne im Garten des Goethe-Instituts in Lissabon, zartes Vogelgezwitscher mischte sich in die Unplugged-Version von „You Let Me Walk Alone“, dem Song, auf dem „unsere“ ESC-Hoffnungen ruhen nach blamablen Jahren mit einem Abonnement auf letzte und vorletzte Plätze.

Diese auf das Wesentliche reduzierte Variante bekamen aber nur die Gäste beim Empfang des deutschen Botschafters zu hören. Für die große Bühne haben die Produzenten „You Let Me Walk Alone“ mit Keyboards- und Orchester-Gedöns aufgeblasen und auf „gefühlig“ getrimmt. Ein Komplett-Debakel wird es wohl nicht, dafür singt Schulte zu gut.

Albanien: Eugent Busherpa, „Mall“ 

Balkan-Pop, die zweite, allerdings mit ungleich mehr Dringlichkeit vorgetragen als der serbische Song (Startnummer 10). Busherpas Stimmumfang ist erstaunlich, ein gemeinsames Gläserzersingen mit Elina Nechayeva  (Startnummer 6) könnte ein großer Spaß werden. 

Frankreich: Madame Monsieur, „Mercy“

Émilie Satt und Jean-Karl Lucas, auch privat ein Paar, bringen den stärksten französischen ESC-Beitrag seit langem auf die Bühne. Das titelgebende Mädchen „Mercy“ kommt auf einem Flüchtlingsboot im Mittelmeer zur Welt, ein schweres Thema als luftig verpackter Electro-Chanson. Das Stück verdient einen der vorderen Plätze, und das könnte klappen. Fremdenfeinde, die bei diesem Stück Schnappatmung bekommen, schalten beim ESC ohnehin ab.

Tschechien: Mikolas Josef, „Lie to Me“

„Lie to Me“ ist im Wettbewerb der am ehesten clubtaugliche Song, geschmeidiger Rap und obendrauf fulminante Blaser-Samples. Mikolas Josef (Hochwasserhosen, Hosenträger, Nerd-Brille und roter Rucksack) präsentiert das Stück mit einer ausgefeilten Choreografie, Arschwackeln inklusive. Der 22-Jährige hat als Model und als Straßenmusiker gearbeitet, beim ESC vereint er das Beste aus beiden Welten.

Dänemark: Rasmussen, „Higher Ground“

Sänger Jonas Flodager Rasmussen und seine starken Männer bedienen alle Wikinger- und Naturburschen-Klischees (lange rote Haare, Zauselbart) die Bühne ist mit Segeln dekoriert. „Higher Ground“ kombiniert mehrstimmigen Gesang mit monotonem Galeerensklaven-Motivationsgetrommel. Stimmiges Gesamtkunstwerk mit eingängigem Refrain und artifiziellem Schneegestöber.

Australien: Jessica Mauboy, „We Got Love“ 

Geradezu klassische ESC-Hymne der australischen Mariah Carey. Im Vortrag der properen Sängerin schwingt eine Frage ans Publikum mit: „In der ESC-Geschichte gab es schon viele unvorteilhafte Kleider, wie gefällt Ihnen meins?“

Finnland: Saara Alto,„Monsters“

Eine Initiativbewerbung für Platz 26 – und ein Zeitfenster zum Bierholen oder Bier wegbringen. 

Bulgarien: Equinox, „Bones“

Zwei stimmgewaltige, aus den USA importierte R’n’B-Künstler kollaborieren mit einer Ethno-Pop-Formation vom Zentralbalkan. Weniger als die Summe der einzelnen Teile.

Moldau: Doredos, „My Lucky Day“

Überzeugt mit swingendem Bigband-Arrangement und kalkuliertem Retro-Charme. Vier Herren mit Anzug und Fliege und zwei Damen im gelben Petticoat agieren vor und hinter einer Kulissenwand mit vielen Türen und Fenstern und machen allerlei Doppelgänger-Faxen. „My Lucky Day“ hätten Doredos so oder so ähnlich auch bei „Musik ist Trumpf“ mit Peter Frankenfeld aufführen können.

Schweden: Benjamin Ingrosso, „Dance You Off“

Für den siebten schwedischen ESC-Erfolg ist die Musik eigentlich zu läppisch: Gefälliger Soul-Pop, als würde Bruno Mars eine zu Recht vergessene B-Seite von Michael Jackson covern. Vielleicht hilft ja die spektakuläre Visualisierung mit den Leuchtstäben. Ist das noch live oder schon eine Computeranimation?

Ungarn: AWS, „Viszlat Nyar“

Die ungarische Hardcore-Band sorgt für den größten Energieüberschuss beim Song Contest seit dem Auftritt von Lordi vor zwölf Jahren. Der Song „Viszlat Nyar“ erinnert an die Grunge-Gewitter von Nirvana oder Pearl Jam, schaufelt aber noch eine Handvoll Rammstein-Pyro obendrauf. Der Auftritt hat auch eine politische Komponente: Wer Ungarns autokratischen Regierungschef Viktor Orban ärgern will, sollte dafür sorgen, dass die tolerante und weltoffene ESC-Karawane 2019 nach Budapest weiterzieht.

Israel: Netta, „Toy“

Die Buchmacher notieren den israelischen Beitrag als Favoriten und Netta wurde bei Google öfter gesucht als alle anderen Teilnehmer. Man stelle sich also Björk vor, die sich auf Beth-Ditto-Format hochgefuttert hat und einen Doppel-Dutt trägt. Der Song „Toy“ klingt zu gleichen Teilen tanzbar, futuristisch und schrill, im Hintergrund blinken Winkekatzen aus dem Asia-Plunderland. Das gusseiserne Selbstbewusstsein der israelischen Delegation (als sei der Sieg nur Formsache) hat Netta allerdings einige Sympathien gekostet.

Niederlande: Waylon, „Outlaw“

Ehe hyperengagierte Tierrechts-Aktivisten nun den Fernseher eintreten: Beruhigen Sie sich, Waylons Jacke ist aus Leopardenfellimitat! Waylon (eigentlich: Willem Bijkerk) ist ein Fan handgemachter amerikanischer Musik, das ist nicht zu überhören, erdiger Bluesrock und ein bisschen Bon Jovi weht durch seinen Song „Outlaw“. Das einleitende Gitarrenriff, wer weiß es? „Shadow on the Wall“ von Mike Oldfield.

Irland: Ryan O’Shaungnessy, „Together“

Johnny Logan, der Jüngere. Zweitverwertung des Kunstschnees, den Dänemark übriggelassen hat.

Zypern: Elena Foureira, „Fuego“

Von der Windmaschine verwehte lange Haare und eng anliegender Glitzerfummel: Elena Foureiras Choreografie und Outfit lassen die Herzen all jener ESC-Fans höherschlagen, die im Wettbewerb den gewissen Pop-Trash aus Südosteuropa schätzen. Wer es nicht so gut meint mit Zypern, erkennt hier ein Shakira-Double und eine Animation hart an der Grenze zum Bauchtanz. Auch viel Pyrotechnik ist dabei, kann man machen bei diesem Songtitel.

Italien: Ermal Meta & Fabrizio Moro,“Non mi avete fatto niente“

Islamistischer Terror in Nizza, London, Barcelona usw. ist das Thema dieser musikalisch gar nicht so schwerblütigen Italo-Pop-Nummer. Die Hundekrawatten-Fraktion wird versuchen, hier einen kausalen Zusammenhang zur Startnummer 13 zu behaupten.