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Burghart Klaußner über das Dilemma in "Terror"

17.10.2016, 08:37
Burghart Klaußner hat eine klare Meinung. Foto: Georg Wendt
Burghart Klaußner hat eine klare Meinung. Foto: Georg Wendt dpa

Hamburg - Für den Schauspieler Burghart Klaußner bietet der Fernsehfilm „Terror - Ihr Urteil” die Chance, ein wichtiges ethisches Thema in breiter Öffentlichkeit zu diskutieren. „Es ist das öffentliche Gespräch, die republikanische Sache, das Sich-gemeinsam-den-Kopfzerbrechen über ein bestehendes Problem”, sagte Klaußner im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

Und er hat eine klare Meinung: Der Bundeswehrpilot, der in dem Film eigenmächtig einen von Terroristen entführten Airbus mit Passagieren abgeschossen hat, habe sich des 164fachen Mordes schuldig gemacht.

Frage: Als Vorsitzender Richter in dem TV-Film dürfen Sie keine Meinung haben, aber wie sieht der Bürger Klaußner den Fall?

Antwort: Der Bürger Klaußner hat große Scheu, hier überhaupt Stellung zu beziehen. Denn ich glaube den Autor und Juristen Schirach ein Stückchen zu durchschauen: Dass er die Sache so zugespitzt hat, dass im Grunde genommen jede Entscheidung falsch ist. In der Realität kann es fatalerweise irgendwann dazu kommen, dass ein Politiker über einen Abschuss entscheiden müsste – auch wenn das Bundesverfassungsgericht dies in einem Urteil 2006 klar verworfen hat. Es ist sehr schwer, im Vorhinein für einen solchen Katastrophenfall Leitlinien einzuziehen. Denn es hängt unglaublich viel vom jeweiligen Einzelfall ab.

Frage: Am Dresdner Theater haben Sie das Stück inszeniert und spielen auch den Richter. Haben sich bei Ihnen persönlich im Laufe der Zeit überzeugende Argumentationen herausgeschält?

Antwort: Ich habe mich am Anfang, als wir mit den Proben begannen, relativ schwer entscheiden können, was möglicherweise richtig oder falsch ist. Im Laufe der Zeit sind mir aber mehr und mehr Zweifel gekommen, dass es richtig wäre, wenige Menschen – dabei sind 164 ja gar nicht wenig – zu opfern für 70 000. In einem solchen Fall ein Flugzeug abzuschießen, das schien mir mehr und mehr unrichtig. Denn bis zum letzten Moment können Dinge passieren, die die Katastrophe in eine ganz andere Richtung abwenden helfen.

Frage: Haben wir eine typisch deutsche Sehnsucht nach Gesetzen, um bloß nicht selber Verantwortung übernehmen zu müssen?

Antwort: Nein, das sehe ich vollkommen anders. Wir leben nicht in einem Ausnahmezustand, sondern einem verfassungsrechtlich definierten Staat und haben uns gefälligst daran zu halten. Sollte es zu einem Fall kommen, in dem der Einzelne glaubt, die Menschheit retten zu können oder auch nur eine Gruppe von Menschen, dann bleibt trotzdem sehr genau die Frage im Raum: Darf ich über bestehende Gesetze hinweg handeln oder nicht? Wir leben nicht in der Tyrannei, es handelt sich hier nicht um einen Tyrannenmord, es handelt sich allenfalls um da sogenannte kleinere Übel - eine vor allem im angelsächsischen Recht bekannte Konstruktion. Es handelt sich allenfalls um Gefahrenabwehr nach dem Motto „Übergesetzlicher Notstand”. Es ist keineswegs in die freie Entscheidung jedes Einzelnen gestellt! Wo kämen wir denn da hin, bei einem Gemeinwesen von lauter Einzelentscheidern? So kann es meiner Meinung nach nicht funktionieren!

Frage: Jedes Handeln, jedes Entscheiden bedeutet nach Ansicht von Sartre oder Siegfried Lenz, sich auch schuldig zu machen?

Antwort: Der Angeklagte im Film musste überhaupt nichts entscheiden, denn er hatte den eindeutigen Befehl: Nicht schießen, nicht 164 Menschen opfern! Dieser Befehl wurde ihm auf seine Nachfragen hin mehrfach wiederholt. Der Pilot hat sich darüber hinweggesetzt, weil er meinte, persönliche Verantwortung tragen zu können. Ob manche solches Handeln ablehnen, weil sie prinzipiell nicht persönlich Verantwortung übernehmen möchten, hieße den Fall mit moralischen Fragen zu überfrachten.

Frage: Der Film zeigt: Jedes Handeln ist richtig und falsch zugleich. Was kann er dann überhaupt im Bewusstsein der Zuschauer erreichen?

Antwort: Die vielen Theateraufführungen haben bereits die Antwort gegeben: Es ist das öffentliche Gespräch, die republikanische Sache, das Sich-gemeinsam-den-Kopfzerbrechen über ein bestehendes Problem. Die Diskussion, die das Publikum, das ja als Schöffe angesprochen wird, in den Verhandlungspausen am Theater untereinander führt, ist abenteuerlicher in ihrer Lebendigkeit nicht vorstellbar. Und das ist etwas sehr Demokratisches und sehr ursprünglich Republikanisches.

ZUR PERSON: Burghart Klaußner (67) gehört zu den großen deutschen Schauspielern der Gegenwart. Er spielte unter anderem in „Die fetten Jahre sind vorbei” und „Das weiße Band” mit - beide Mal mit dem deutschen Filmpreis geehrt. Außerdem ist er preisgekrönter Hörbuchsprecher, Theaterregisseur und Sänger. In Dresden hat er „Terror - Ihr Urteil” fürs Theater inszeniert und dabei selber den Vorsitzenden Richter gespielt. (dpa)