TV-Tipp "We Need To Talk About Kevin" TV-Tipp "We Need To Talk About Kevin": Der Sohn als Terrorzelle

Seine Mutter möchte nur das, was alle Mütter möchten: Ihr Neugeborenes einfach lieb haben. Aber schon als Baby macht Kevin das seiner Mutter Eva alles andere als leicht. Er ist ein nerviges Schreikind, das schon im Säuglingsalter für drei nervt.
Als Kevin ein Kleinkind ist, wird die Sache nicht besser. Ganz im Gegenteil. Dem Windelalter längst entwachsen, macht er regelmäßig absichtlich in die Hose. Weil ihm irgendetwas nicht passt. Weil er böse ist. Weil er seine Mutter bestrafen will. Für ihre bloße Existenz. Für seine bloße Existenz.
Kevin, man muss das so deutlich und hart sagen, ist mehr als ein Satansbraten – er ist ein ausgemachtes Arschlochkind. Warum das so ist, bleibt in „We Need To Talk About Kevin“ (arte, 23.45 Uhr) nebulös. In dem Psychothriller nach dem Roman von Lionel Shriver wird kaum etwas erklärt, dafür aber allerhand eindringlich gezeigt. Der Film ist nicht chronologisch erzählt, sondern komplex montiert, und in dem klugen Wechselspiel von Rückblenden und Zeitsprüngen kann man sehen, wie hoffnungslos verfahren das Verhältnis von Kevin zu seiner Mutter Eva ist.
Jesper Newell, der Kevin im Alter von sechs bis acht Jahren spielt, gibt dem Jungen schon ein fieses, verschlagenes Gesicht – und Ezra Miller, der Kevin als Teenager gibt, dampft die Boshaftigkeit als stille Brutalität aus jeder Pore – bis sie dann bei Ausbruch umso raumgreifender und explosiver ihren Platz sucht. Und das ausschließlich in Bezug auf die Mutter.
Zu seinem Vater Franklin, den John C. Reilly mit ausgesuchter Unbedarftheit spielt, ist Kevin nämlich aus unerfindlichen Gründen ausgesprochen harmlos und nett, und seine kleine Schwester Celia lässt er zunächst in all ihrer Niedlichkeit gewähren. Am großartigsten in diesem Film über die kleinste Terrorzelle der Welt – die Familie – aber ist Tilda Swinton, die als Eva zwischen Verzweiflung, Demut und Wut changiert, sich selbst und ihr Tun auch in den unmöglichsten Situationen der Entfremdung hinterfragt und die Rolle der Mutter trotzdem mit Anmut und Würde spielt. Auch dann noch, als die kontinuierlich tickende Bombe Kevin längst hochgegangen und das Porträt einer dysfunktionalen Familie längst zu Ende gezeichnet ist und Eva in ihrem Alltag geächtet wird.
„We Need To Talk About Kevin“ ist starker Tobak, und wer den Film, der einem vor allem in der zweiten Hälfte die Kehle zuschnürt, gesehen hat, sollte sich danach nichts vornehmen – man würde sich ohnehin auf nichts, aber auch auf rein gar nichts anderes konzentrieren können; dieser Kevin spukt einem noch lange danach durch die Synapsen.
