TV-Kritik: Maybrit Illner TV-Kritik: Maybrit Illner: "Wir wursteln weiter"

Frankfurt - „Jetzt muss ich aber mal richtig reingehen hier“, sagte Maybrit Illner gegen Ende ihrer Talkshow zum Thema „Griechen zwangsgerettet – Europa gespalten?“
Aber da war es schon zu spät. Ökonom Hans-Werner Sinn, Chef des Ifo-Instituts, und Angela Merkels Hausmeier Peter Altmaier hatten sich minutenlange Wortgefechte geliefert, bei denen der geneigte Zuschauer kaum etwas verstehen konnte. Nur soviel: Es ging ums Rechthaben. Anlass war das Zitat von Ex-Kanzler Helmut Kohl, der bei Einführung des Euro vollmundig verkündet hatte, man werde nicht die Schulden anderer übernehmen. Sinn wies darauf hin, dass eben das geschehen und Deutschland nun Gläubiger anderer Staaten geworden sei. Peter Altmaier formulierte dagegen, man habe anderen Ländern „geholfen“. Nun argumentiert noch bei jeder Talkshow nach dem Prinzip, dass nicht sein kann, was in den Augen seiner Kanzlerin nicht sein darf, aber der Euphemismus „helfen“ ist schon ein ziemlich starkes Stück angesichts der Tatsache, dass Deutschland kräftig verdient hat an der Griechenland-Krise.
Aber haben wir auch bezahlt? Dann nicht, wenn die Hellenen ihre Schulden zurückzahlen, was allerdings auch in dieser Runde keiner glaubte – außer: Peter Altmaier. Der ritt das alte CDU-Steckenpferd: Wenn Athen wieder wettbewerbsfähig sei, nachdem es „Wohltaten“ abgeschafft und „harte Reformen“ eingeführt habe. Das polemische Wort von den „Wohltaten“ zeigte, wie weit die CDU-Spitze immer noch vom Willen zur Verständigung entfernt ist, während man zugleich immer wieder „Europa“ beschwört. Der eingefleischte Europäer Günter Verheugen (SPD) wies denn auch darauf hin, es seien die Deutschen gewesen, die „mit völlig einseitigen Schuldzuweisungen“ gegenüber Griechenland angefangen hätten.
Für Peter Altmaier sind die Griechen selbst schuld
Zu Beginn kamen die bekannten Positionen nochmal auf den Tisch: Die Brüsseler Einigung bringe immer neuen Schulden und das Kaputtsparen der griechischen Wirtschaft mit sich, glaubt Verheugen. Ähnlich formulierte Wirtschaftsjournalistin Silvia Wadhwa: Durch drastisch erhöhte Mehrwertsteuer werde die wichtigste Industrie des Landes beschädigt, der Tourismus; und bei fast 60 Prozent Jugendarbeitslosigkeit das Renteneintrittsalter zu erhöhen, sei widersinnig: „Aber wir wursteln weiter“.
Hans Werner-Sinn, sonst anderer Meinung als Wadhwa, bestätigte: Das Programm wirke offenkundig nicht, „wir machen trotzdem weiter“. Und der Grieche in der Runde, Journalist Michalis Pantelouris, wollte für den Brüsseler Beschluss das Wort „Kompromiss“ nicht gelten lassen: Das Parlament in Athen habe zugestimmt in einer Situation, da das Land am Kollabieren sei: 90 Prozent seiner arbeitslosen Landsleute bekämen kein Geld mehr. Für Peter Altmaier sind die Griechen selbst schuld: Alexis Tsipras habe „Zusagen nicht eingehalten“, und der CDU pries nun ausgerechnet einen Sozialdemokraten als Vorbild: Ex-Kanzler Schröder mit seiner Agenda 2010.
Während Altmaier wortreich die Bundesregierung verteidigte, übte Verheugen an ihr scharfe Kritik: Es werde der falsche Eindruck vermittelt, man schütze den deutschen Steuerzahler, aber: „Das Geld ist weg“. Das warf die Frage nach der Zukunft auf. Sinn griff den Vorschlag seines Kollegen Clemens Fuest auf, die Steuern zu erhöhen mit einem „Griechenland-Soli“; es sei jedoch falsch zu glauben, allein mit Geld die Wettbewerbsfähigkeit Athens retten zu können. Er plädierte nach wie vor für den „Grexit“ und lobte Finanzminister Wolfgang Schäuble für seine Haltung: „Ein starker Politiker“. Der allerdings von nicht wenigen als Bösewicht im Drama gesehen wird, etwa von Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer, der im Einspieler vom „herzlosen Deutschen“ sprach. Pantelouros befand, wer so auftrete wie Schäuble, „der versprüht Gift in Europa“.
Was Illner zur Frage veranlasste, ob Europa nun Deutsch spricht. Gewiss nicht, sagte Verheugen, und erinnerte daran, dass die europäische Einigung ein Versprechen gewesen sei, eine „unauflösbare Union“ zu bilden. Das sei nun anders. Sinn aber nannte diese „Ewigkeitsgarantie“ einen Popanz. Doch scheint Europa weit von den Ideen seiner Begründer entfernt – schließlich hieß das einmal EWG, Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Verheugen brachte das Dilemma auf den Nenner: Wie könne eine Währungsunion funktionieren, die handeln soll wie ein Staat, aber kein Staat ist. Aber während den Griechen Spardiktate auferlegt werden, halten viele andere Länder (auch Deutschland) die selbst festgelegten Richtlinien wie die Höhe der Staatsverschuldung nicht ein. Und deshalb ist es vielleicht der größte Fehler, den die Deutschen in den zurückliegenden Monaten begangen haben: den europäischen Gedanken in den Augen der anderen Staaten, vor allem im Süden des Kontinents, zugunsten der Disziplinierung eines Einzelnen, verraten zu haben. Michalis Pantelouris sagte denn auch, Angela Merkel hätte entschiedener und früher als Europäerin auftreten sollen.
Maybrit Illner, ZDF, vom Donnerstag, 16. Juli, 22.15 Uhr. Im Netz: ZDF Mediathek