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TV-Kritik: Maybrit Illner TV-Kritik: Maybrit Illner: Unverblümtes Vokabular aus dem Kalten Krieg

Von Daland Segler 21.11.2014, 08:20

Frankfurt - Der Mann ließ sich halbnackt beim Angeln und Reiten fotografieren, im Tarnanzug mit der Knarre auf Tigerjagd oder
als Judoka mit schwarzem Gürtel: Inszenierungen viriler Stärke, die letztlich dazu dienen, dem Volk das Bild eines mächtigen Führers zu bieten. Und mögen diese Posen
auch von einer schweren narzisstischen Störung zeugen, eines kann man Wladimir Putin gewiss nicht nachsagen: Dass er verrückt sei.

Putin weiß genau, was er tut

Der ehemalige Geheimdienstler weiß immer sehr genau, was er tut, wie jüngst , als er dem ihm bekannten deutschen Filmemacher Hubert Seipel ein Interview gewährte. Denn derzeit ist dem russischen Präsidenten die Rolle des Schwarzen Peters zugefallen, nachdem er erst die Krim annektierte und nun versucht, die Spaltung der Ukraine voranzutreiben, indem er die Separatisten im Donbass mit Waffen und Soldaten unterstützt.

Seit aber Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem Vier-Stunden-Gespräch mit Putin so unvermittelt wie deutlich Kritik am Russen äußerte und gar von einem drohenden „Flächenbrand“ sprach, hat die in den bundesdeutschen Medien mit Hingabe gepflegte Dämonisierung des Herrschers aller Reußen eine neue Dimension bekommen. „Putins Machthunger – wie weit wird Moskau gehen?" fragte Maybrit Illner denn auch in ihrer Talkshow, aber glücklicherweise passten sich die Gäste nicht dem Niveau dieses Mottos an – mit Ausnahme von Jan Techau dem Direktor der als „Denkfabrik“ vorgestellten Stiftung von Carnegie Europe. Er hatte allerdings zuvor bei der Militärakademie Nato Defence College gearbeitet, und genauso redete er auch: ein kalter Krieger par excellence. Und solche Leute haben derzeit wieder Konjunktur.

Vokabular aus dem Kalten Krieg

So scheute sich Illners Redaktion im Ankündigungstext zur Sendung nicht zu formulieren: „Längst verfängt Putins Machtpoker mit Gas, Geld und Propaganda auch andernorts – das gesamte östliche und südöstliche Europa wird traktiert“. Das ist schon recht unverblümt das Vokabular aus dem Kalten Krieg. Oder was soll „traktiert“ bedeuten? „Traktiert“ der Westen eben diese Teile Europas nicht mit Geld und Propaganda?

„Wann verfallen wir wieder in altes Denken? fragte die Moderatorin Oleg Krasnitskiy, den Gesandten der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin, der konterte: Das alte Denken sei nie vorbei gewesen, und dann das Standard-Argument der Russland-Freunde bemühte: Alles begann mit der Nato-Osterweiterung. Und das wiederholte Krasnitskiy später noch ein paarmal. Das aber wollen die Apologeten des Westens nicht hören. Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU), rätselte, es müsse „irgendwas geschehen sein, dass die Menschen heute wieder Sorge und Angst haben“. Haben sie? Oder sollen sie haben? Im Forum zur Talk schrieb ein User namens caviezel über die Illustration der Sendung: „Putin vor einer Weltkugel. An was erinnert das ? Charlie Chaplins Film "Der große Diktator" von 1940 in Anspielung auf Hitler... wenn das mal keine Stimmungsmache ist.“

Egon Bahr tat sich selbst keinen Gefallen

Maybrit Illner, diesmal wieder gut vorbereitet, fragte, ob nicht die Interessen Russlands zu wenig berücksichtigt worden seien. Der greise Egon Bahr zog eine hübsche Parallele. Wie Ulbrichts Satz: „Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen“ eine Freud'sche Fehlleistung gewesen sei, so gelte das jetzt für US-Präsident Barack Obama, als er Russland (ohne die Ukraine) zu einer Regionalmacht erklärt habe. Denn nun müsse Putin beweisen, dass das nicht stimme. Techau stimmte zu: Die amerikanische Führungsschwäche bestärke andere, Obama habe einen „unforced error“ begangen, einen nicht erzwungenen Fehler, und die Russen damit beleidigt, die doch nach Anerkennung gerade der USA dürsteten.

Egon Bahr, der sich nicht wirklich einen Gefallen mit seinem Auftritt hier getan hatte, erinnerte immerhin an „50 Jahre strategische Partnerschaft“. Putin aber habe die nach der deutschen Einigung getroffene Übereinkunft gebrochen, dass sämtliche Grenzen in Europa nur in gegenseitigem Einvernehmen zu ändern seien. Das sei völkerrechtlich nicht akzeptabel. Damit widersprach er der Aussage von Ex-SPD-Chef Matthias Platzeck, der jüngst geraten hatte, der Klügere müsse “auch mal“ nachgeben und die Annexion der Krim akzeptieren.
Techau wähnt Putin ohnehin auf dem Weg, die politische Kontrolle über die Ukraine wiederzugewinnen.

Die Frage Maybrit Illners, ob es zutreffe, dass Putin eine Niederlage der Separatisten in der Ost-Ukraine nicht zulassen werde, beantwortete Oleg Krasnitskiy lieber erst gar nicht. Man habe doch die Lösungen schon gefunden, müsse sie nur umsetzen.

Könnte aber das ostukrainische „Modell“, dass Moskau die russischen Minderheiten schütze, demnächst Schule machen, wollte die Moderatorin wissen und ließ eine Karte einblenden, die zeigte, dass etwa Estland gut 23, Lettland rund 26 Prozent russische Bevölkerung hat. Janusz Reiter, früherer polnischer Botschafter in Deutschland, beschwor „verlässliche Spielregeln“, und der Russe in der Runde formulierte wieder typisch diplomatisch, man müsse weg von dieser Gegenüberstellung, pro-europäisch sei anti-russisch und umgekehrt, und erinnerte an den Vorschlag des gemeinsamen Wirtschaftsraum von Wladiwostok bis Lissabon – ohne Echo bei den anderen Gästen. Man müsse „sehr schnell zum Dialog zurückkehren“, sagte Krasnitskiy dann. Aber das wird, soviel war aus dieser Sendung zu lernen, noch dauern. Sehr lange.