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TV-Kritik "Hart aber fair" TV-Kritik "Hart aber fair": Gegen die Angst nach der Kölner Silvesternacht

Von Benjamin Quiring 02.02.2016, 06:02
„Hart aber Fair“-Moderator Frank Plasberg.
„Hart aber Fair“-Moderator Frank Plasberg. WDR/Klaus Görgen Lizenz

Wenn Bürger in Deutschland zurzeit über Angst sprechen, hat das verschiedene Gründe. Das wurde auch am Montagabend in der ARD-Sendung „Hart aber Fair“ deutlich. Denn für Emitis Pohl, Geschäftsführerin einer Werbeagentur in Köln, waren die Ereignisse in der Silvesternacht rund um den Kölner Hauptbahnhof ausschlaggebend: Seitdem habe sie Angst sagte Pohl gleich zu Beginn der Diskussionsrunde. Inzwischen habe sie deshalb Pfefferspray für sich und ihre Töchter besorgt. Zugleich machte die Werbefachfrau aber auch klar, dass sie bei ihrer Angst  nicht in einem Atemzug über Flüchtlinge reden muss: „Kriminelle sind Kriminelle, genauso wie ein Falschparker für mich ein Falschparker ist.“

Für den Zuschauer eine hilfreiche Aussage in der Diskussion zum Thema „Bürger in Angst, Polizei unter Druck – ist unser Staat zu schwach?“ mit Moderator Frank Plasberg: Denn wenn in Talkshows zu viele verschiedene Aspekte auf einmal zusammenkommen, kann es schnell passieren, dass man am Ende dann doch nicht mehr weiß, worum es ursprünglich gehen sollte.

Dass Pohl mit ihrer Angst nur eine von vielen ist, machten zwei Dinge deutlich. Zum einen lieferte ein kurzer Einspieler die zugehörige Statistik: So ist die Zahl der Anträge für den „kleinen Waffenschein“ in den Großstädten Berlin, Hamburg, Dortmund, Düsseldorf, Köln, Frankfurt, Stuttgart seit Silvester rasant gestiegen. Während im Januar vergangenes Jahr etwa in Stuttgart noch drei Bürger den „kleinen Waffenschein“ beantragten, gingen im Januar 2016 insgesamt 229 Anträge ein. In Köln waren es im Januar vergangenes Jahr noch 30 Anträge, dieses Jahr stieg die Zahl im gleichen Monat auf 1209. 

Zum anderen gab auch Wolfgang Bosbach (CDU) zu, dass es ihn als „Papa“ nachdenklich gemacht hat, dass zwei seiner drei Töchter nun Selbstverteidigungskurse besuchen, weil sie für den Ernstfall gewappnet sein wollen. Als Politiker hingegen müsse er sich fragen, was Staat und Gesellschaft tun können, um Menschen wie Werbefrau Pohl oder aber seinen Töchtern die Ängste zu nehmen, damit sie ohne Sorgen aus dem Bergischen Land nach Köln zum Straßenkarneval fahren können.

Angst kann auch andere Gründe haben

Eine andere Angst brachte Samy Charchira, Sachverständiger der Deutschen Islamkonferenz, zur Sprache: Der Sozialpädagoge aus Düsseldorf macht sich große Sorgen, weil Bürgerwehren und Rockergruppen auf der Straße Jagd auf ausländisch aussehende Menschen machen und weil verschiedene Gruppen die Ereignisse aus der Silvesternacht in Köln instrumentalisieren und daraus einen zunehmend aggressiv geführten Disput in der Flüchtlingsfrage machen. Er warnte davor, die bestehenden Probleme auf dem Rücken von Minderheiten auszutragen, Migranten unter Generalverdacht zu stellen und Kultur oder Religion als einfachen Weg der Erklärung zu nehmen.

Darüber seien sich doch alle anwesenden Gäste einig, stellte Rüdiger Thust fest. Der Vorsitzende des Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) Bezirk Köln gab dennoch zu bedenken, dass  „nordafrikanische Tätergruppen nicht erst seit der Silvesternacht“ ein Problem sind und zu einer notwendigen Bestandsaufnahme dazugehören. „Man muss klare Fakten nennen“, so Thust, „ich bedauere ausdrücklich, wenn man jetzt alle über einen Kamm schert, genau deshalb muss man jetzt genau hinschauen.“ Zudem brachte auch der Kriminalhauptkommissar ein paar Zahlen mit und sprach von 1,5 Millionen registrierte Straftaten in Nordrhein-Westfalen, davon über 50.000 Wohnungseinbrüche, über 50.000 Taschendiebstähle und über 100.000 aufgebrochene Autos.

Richtig kontrovers wurde die Diskussion, als sich Ingo Lindemann, Fachanwalt für Strafrecht und Verteidiger eines mutmaßlichen Täters vom Kölner Hauptbahnhof in die Diskussion einklinkte: Angst sei ein schlechter Ratgeber bei der Bekämpfung von Kriminalität. Außerdem handele es sich hauptsächlich um Alltagskriminalität, alles „Dinge, die den einzelnen Bürger beunruhigen, wenn er aus seiner sicheren Welt damit konfrontiert wird, aber sicherlich nicht Dinge, die echte Ängste auslösen.“

„Das echte faktische Problem“

Für einen Augenblick sprachlos wurden der Moderator und die anderen Gäste der Sendung dann, als der Anwalt auf Nachfrage mit leicht lapidar wirkendem Gestus schilderte, was seinem Mandanten vorgeworfen werde: „In der Silvesternacht ist auf der Hohenzollernbrücke ein indischer Tourist. Er möchte gerne Fotos machen. Eine Gruppe nordafrikanischer junger Männer spricht ihn an, einer verwickelt ihn in ein Gespräch, der andere klaut die Tasche. Der Inder ist schnell genug, er hält zwei Jungs fest, sie lassen sich widerstandslos festnehmen und der Polizei zuführen. Da geht das Abendland nicht unter. Das ist lästige Alltagskriminalität, in der Tat.“

Dem Anwalt zufolge ein Delikt, gegen das man selbstverständlich vorgehen muss, auch wenn man es nie ganz verhindern kann. Wolfgang Bosbach widersprach daraufhin energisch: „Das wir damit leben müssen heißt doch noch lange nicht, dass wir uns damit abfinden müssen!“ Der CDU-Innenexperte fordert daher mehr Polizei, schnelle Strafen und ein Verfahren, das es ermöglicht, Täter einwandfrei zu identifizieren, damit sie wenn notwendig zurückgeführt werden könnten. Denn völkerrechtlich sei jeder Staat nur dazu verpflichtet, seine eigenen Bürger wieder aufzunehmen. Auch Lindemann machte im weiteren Verlauf der Diskussion Komplikationen bei der Abschiebung von Straftätern aufgrund von fehlenden Papieren als „das echte faktische Problem“ aus.

Kommissar Thust plädiert ebenso für eine Ausweisung von Straftätern, falls nötig und verspürt zugleich aktuell aber auch eine Aufbruchstimmung: Er sei dankbar, dass die Justiz sich jetzt endlich mit der Polizei zusammensetze. Um das Vertrauen der Bürger in den Staat wieder herzustellen brauche es mehr Polizei sowie schnelle und abschreckende Urteile. Deshalb lautet sein Appell an beide Institutionen: Rückt zusammen, gebt ein klares Signal und macht die Stadt unattraktiv für Straftäter und macht sie sicher für die Bürger und Gäste dieser Stadt.

Das sei das Credo dieser Tage. Vielleicht ist es aber auch ein Weg, die Ängste von Emitis Pohl und ihren Töchtern sowie von Samy Charchira vor rechten Gruppierungen zu minimieren.