Tomek Tryzna Tomek Tryzna: Ein großartiger «Zauberer»
München/dpa. - Leider vergisst er in seiner Eile,die Wohnungstür zu schließen, und Diebe räumen die verlasseneelterliche Wohnung aus. So beginnt «Zauberer», der neue Roman despolnischen Autors Tomek Tryzna, der bereits mit seinem ersten Buch«Fräulein Niemand» einen internationalen Erfolg landete. «Zauberer»wünscht man den gleichen Erfolg, denn was für Romeks Familie so fatalbeginnt, entwickelt sich für den Leser zu einer wunderbar erzählten,tragikomischen Reise durch das kommunistische Polen. Romeks Vergesslichkeit stürzt die Familie ins Unglück, denn zurDiebesbeute gehören auch zahlreiche Kleider von Kunden, die RomeksVater und Mutter illegal in der Wohnung nähen. Finanziell ruiniert,droht die Familie auseinander zu brechen. Romek, von schlechtemGewissen geplagt, will das verhindern und versucht mit immer neuenEinfällen, der Familie wieder eine ökonomische Basis zu verschaffen.Tryzna erzählt dies ganz unsentimental aus der Sicht des Kindes, aberauch voller Humor und mit viel Sinn für Komik. Ein großartiger Roman.(Verlag Luchterhand, München, 256 S., Euro 19,95, ISBN 3-630-87183-6)Auf Fernsehniveau: Tommy Jauds «Resturlaub» = Frankfurt/Main (dpa) - Auf die Werbekraft des Fernsehens istVerlass. Davon profitieren nicht nur Moderatoren undSchauspielerinnen, selbst Autoren im Hintergrund können darauf bauen.Anders ist nicht zu erklären, warum Bücher wie Tommy Jauds Roman«Resturlaub» auf Bestseller-Listen landen. Jaud, Autor fürverschiedene Fernseh-Comedys, erzählt die Geschichte eines 37-jährigen Managers, dem die Freunde durch Ehe und Kinder abhandenkommen und der in Panik vor dem gleichen Schicksal einen letztenAusbruchversuch aus der Provinz wagt. Und er erzählt sie so, wie inFernseh-Comedys häufig üblich: kurzatmig, gnadenlos gag-fixiert undimmer mindestens zwei Strich zu dick aufgetragen. Das ist zwarmanchmal für einen Lacher gut, aber sonst nur ermüdend. Wie Fernseheneben. (Scherz Frankfurt am Main, 256 S., Euro 12,90, ISBN 3-502-11004-2)«Abschiedsnovelle»: Modernes Porträt einer Femme fatale = Köln (dpa)- Letztlich wohnt einer wahren Liebe die Sehnsucht inne,über den Tod hinaus verbunden zu bleiben. Diesen Traum verkörpert inJan Koneffkes «Abschiedsnovelle» eine kleine etruskische Plastik.Diese zeigt ein Paar, welches ganz gelassen die Welt hinter sichlässt. Die Liebe eines deutschen Paars, das dieses Kunstwerk in einerAusstellung in Rom entdeckt, steht dagegen unter einem ganz anderenStern: Der Mann, ein junger Rechtsanwalt, ist völlig gebannt vonseiner Freundin, die ihn mit ihrer verwegenen Erotik an seine Grenzenbringt. Als sie ihn in Rom aus heiterem Himmel verlässt, bricht seineWelt zusammen und er verzehrt sich krankhaft in seiner Liebe.Koneffke, 1960 in Darmstadt geboren, zeichnet in seiner Novelle einerealistische und zeitgemäße Gestalt der Femme fatale. Diezwischenmenschliche Liebe erscheint dabei kunstreich eingespanntzwischen die Pole völliger Unberechenbarkeit und dem Versprechen nachEwigkeit. (Dumont Verlag, Köln, 125 S., Euro 7,50, ISBN 3-8321-7958-5)«Feuer im Herzen»: Wiederaufbereitung alter Weisheiten = Zürich (dpa) - Unsere Kultur kennt kaum mehr Rituale, durch dieJugendliche in die Welt der Erwachsenen eingeführt werden. Mit seinemBuch «Feuer im Herzen» versucht der indische Autor Deepak Chopra,diesem Mangel abzuhelfen. Er erzählt von einem 15-jährigen Jungen,der eines Tages einen weisen Mann trifft, der ihn für vier Tage indie Lehre nimmt. Dabei kommt es dem Meister darauf an, den Jungen mitden wesentlichen Elementen des Lebens und Menschseins vertraut zumachen: Sein Schüler soll mit dem Unsichtbaren bekannt gemachtwerden, er soll seine eigene Seele entdecken und lernen, mit demHerzen zu sehen. Inhaltlich ist das Buch recht einfach gehalten.Dennoch ist es weniger für Jugendliche als vielmehr für Erwachsenegeeignet, die glauben, etwas im Leben versäumt zu haben. Dem Buchfehlt es an einer wirklichen Geschichte und an Spannung. Stattdessenbereitet es alt bekannte Weisheiten lediglich neu auf. (DiogenesVerlag, Zürich, 245 S., Euro 12,90, ISBN 3-257-06528-0)Moskaus schwerreiche Antwort auf «Sex and the City» = München (dpa) - «Babuschkas Töchter» der Russin Oksana Robski istkurzweiliger, als der altbackene deutsche Titel vermuten lässt.«Casual» (salopp) heißt der Schlüsselroman über die abgeschotteteMoskauer Milliardärsmeile Rubljowskoje Chaussee im Original. Robskierzählt von den durchgedrehten Luxusgeliebten, die um ihre gesicherteZukunft als Gattinnen russischer Rohstoffbarone kämpfen. In dieserWelt gilt es als lässliche Sünde, wenn der Auftragskiller das falscheOpfer erwischt. Unverzeihlich ist nur, im falschen Outfit bei einerNobelparty aufzukreuzen. Robski steht zu ihrem Lebensstil vollerLuxusmarken. Kitsch und Selbstironie halten sich bei der MoskauerAntwort auf «Sex and the City» die Waage. (Diana Verlag, München, 320S., Euro 8,95, ISBN 3-453-35131-2)Amos Oz schickt seine Leser in den Wald - Märchen vom Paradies = Frankfurt/Main (dpa) - «Wohl dem, der nicht sitzt, wo die Spöttersitzen.» Dieser Satz aus dem ersten Psalm der Bibel könnte als Mottoüber dem kleinen Märchen des israelischen Friedensaktivisten Amos Ozstehen. «Plötzlich tief im Wald» erzählt die Geschichte eines Ortes,in dem keine Tiere mehr leben. Auf den Bewohnern lastet eine großeSchuld, über die niemand reden will. Stattdessen schreiben sie ihrUnglück einem mysteriösen Waldgeist zu. Die Kinder Maja und Matiwollen sich damit nicht abfinden und suchen im Wald nach derWahrheit. Dort stoßen sie jedoch nicht auf das Reich des Bösen,sondern auf ein Paradies, das erneut biblische Anklänge aufweist mitvegetarischen Tigern und Löwen. Herr dieses Gartens ist ein frühererBewohner des Ortes, der verspottet wurde und dann mit allen Tierenflüchtete. Das lehrreiche Märchen über Ausgrenzung und Ignoranz istein Plädoyer für mehr Mitmenschlichkeit, mit dem Amos Oz vor allemdie Kinder erreichen will - damit sie dem Paradies ein Stück näherkommen. (Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 112 S., Euro 12,80, ISBN3-518-41748-7)«Neue Weltgeschichte der Prostitution»: Von Kurtisanen zu Callgirls München (dpa) - Huren, Kurtisanen, Prostituierte, Mätressen:bereits die Vielzahl der Bezeichnungen weist auf die Bedeutung deskäuflichen Sex hin, der immer wieder die Forschung beschäftigt. Dasjüngste Werk zu diesem Thema stammt aus der Feder des norwegischenHistorikers Nils Johan Ringdal, der das Phänomen auf seinen Reisenrund um die Welt untersuchte. «Die neue Weltgeschichte derProstitution» spannt den Bogen von den Huren Babylons bis zu denCallgirl-Ringen der Neuzeit. Sie porträtiert die großen Kurtisanender Weltgeschichte wie Madame Pompadour, erzählt von freizügigenFrauen der Südsee, zeigt die Verbindungen zwischen Kirche undkäuflicher Liebe, von Krieg, Vergewaltigung und Zwangsprostitution. Ringdal will mit seinem Werk gegen Vorurteile, Verteufelung undDoppelmoral kämpfen. Für ihn ist Prostitution von der jeweiligenGesellschaft abhängig und muss in diesem Kontext bewertet werden: DerVerkauf von Mädchen in Asien zählt für ihn zur regionalen Traditionund ist eine Frage des wirtschaftlichen Überlebens der Familien. DieDiskussion über Kinderprostitution überdeckt für ihn das viel größereProblem der Kinderarbeit, mit der die Betroffenen oft weit schlimmerverletzt würden. Auch den Sextourismus will er nicht verdammen,sondern höchstens die Billigangebote der Branche in denentsprechenden Ländern. Damit reiht sich der Historiker in die Gruppederer ein, die sich für klare Regelungen für Prostituierte einsetzensamt Tarifen und Gesundheitsprüfung. Sein Buch, das zum Teil nichtpolitisch korrekt ist, könnte diese Debatte erneut aufleben lassen.
Piper Verlag, München, 458 S., Euro 24,90, ISBN 3-492-04797-1