Thüringen Thüringen: Neuer Glanz für Meininger Theater

Meiningen/dpa. - Vor mehr als hundert Jahren war Meiningen einNabel der europäischen Theaterwelt. Von der kleinen SüdthüringerResidenzstadt gingen seit 1874 für einige Jahrzehnte entscheidendeSchauspiel-Impulse aus. Unter der weltlichen und künstlerischenRegentschaft von Herzog Georg II. (1826-1914), der als Theaterherzogin die Geschichte einging, setzte das Haus vor allem bei derInterpretation klassischer Stücke Maßstäbe. Die unbedingte Werktreueund die für jene Zeit unübliche Realitätsnähe in Kostüm undBühnenbild beeinflussten die internationale Schauspielkunst und dasdramatische Schaffen um 1900. Heute gilt das Haus als Wiege desmodernen Regietheaters.
Der Theaterherzog übernahm 1866 die Regierungsgeschäfte und diekünstlerische Leitung am Theater. Er konzentrierte alle Kräfte aufdas Schauspiel und die ernsthafte Regiearbeit. Dramen der Klassikerwie Shakespeare, Schiller, Ibsen und Kleist wurden werkgetreu ineinem dem historischen Original möglichst nahe kommenden Ambienteinszeniert.
Von 1874 bis 1890 reiste das Hoftheater mit Bühnenbildern,Requisiten und Kostümen per Bahn durch ganz Europa. Fast immerspielte es vor ausverkauftem Haus und zeigte bis zu zehn verschiedeneStücke pro Reise. 81 mehrwöchige Reisen mit rund 2600 Aufführungenstehen zu Buche. Den Begriff «Die Meininger» prägte Theodor Fontaneunter dem Eindruck des Gesehenen.Am 5. März 1908 brannte das Theatergebäude bis auf die Grundmauernnieder, erzählt die Chronik. Bereits Ende 1909 wurde der heutigeTheaterbau an gleicher Stelle eröffnet. Georg II. ließ auf dem Giebelsein Credo «Dem Volk zur Freude und Erhebung» verewigen. Der Bau kamin die Jahre, der Ruhm verblasste. Das Theater überstand die beidenWeltkriege jedoch ohne nennenswerte Schäden. Deshalb wurde es niegeneralsaniert. Jahrelang wurde es nur mit Ausnahmegenehmigungen fürBrandschutz, Sicherheit und Fluchtwege betrieben. Lediglich eineDrehbühne in den 50er Jahren und die Erweiterung des Orchestergrabensstehen zu Buche.
Mehr als 100 Jahre nach seiner Eröffnung präsentiert sich derletzte klassizistische Theaterbau Europas jetzt technisch wieder aufder Höhe der Zeit. «Rund zwölf Millionen Euro, darunter EU-Gelder,wurden in den kompletten Um- und Ausbau vom Keller bis zum Dachinvestiert, sagt der technische Direktor Detlef Nicolmann. Amkommenden Freitag ist nach mehr als einem Jahr Baugeschehenfeierliche Übergabe.
Am 9. und 10. Dezember wird die Bühne mit zwei Premierenwiedereröffnet. Für Intendant Ansgar Haag, der seit 2005 das Theaterleitet, kommen dafür nur Werke von William Shakespeare und RichardWagner infrage: «Shakespeare war der Lieblingsschriftsteller desTheaterherzogs Georg II., Richard Wagner ein Freund des Herzogs undgehört somit mit in die Region».
Wer beide Premieren besucht, den erwarten zwei Varianten einerGeschichte: Shakespeares «Maß für Maß» gibt den Auftakt am 9.Dezember, einen Tag später folgt die Oper «Das Liebesverbot» desjungen Richard Wagner, der auch das Libretto geschrieben hat.
Der Saal präsentiert sich den Besuchern wieder annähernd so wie zuHerzog Georgs Zeiten. Nach historischen Befunden wurden die Wändebeige gemalt, die Wandbespannung ist in Türkis wie auch dieStuhlposter. Haag empfindet das schon fast ein bisschenzu barock - wegen des vielen Blattgolds.
Wichtigste Neuerung und «Herzstück» des Hauses ist jedoch die neueHinterbühne. Um Platz für zwei Drehscheiben und eine Hubbühne zubekommen, war im vergangenen Jahr in einer spektakulären Aktion dieklassizistische Giebelwand des Theaters um fünf Meter nach außengesetzt worden, erzählt Nicolmann, der nach eigener Aussage nie darangezweifelt hat, dass das Haus pünktlich fertig wird. «Am Theaterlernt man zu improvisieren.»
Für Künstler und Mitarbeiter gehen jetzt rund eineinhalb JahreImprovisation in Ausweichspielstätten zu Ende. SchauspieldirektorDirk-Olaf Handke sieht durch die neue Bühnentechnik keine Grenzenmehr für Inszenierungen gesetzt, «außer den finanziellen.» Auch derTheaterherzog habe immer versucht, die technischen Möglichkeitenseiner Zeit nutzbar zu machen. Im Mittelpunkt stand jedoch immer derSchauspieler: «Damit sind wir wieder bei der Meininger Tradition»,sagt Handke. «Wir werden vieles ausprobieren. Wir sind ein vitales,lebendiges Theater und kein Museum.»
