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Thüringen Thüringen: Konzentrationslager Buchenwald auf der Zeitschneise

Von andreas montag 31.08.2012, 18:23

weimar/MZ. - Wer sehen will, kann bequem im Auto sitzend zum Ettersberg fahren. Oder er wählt den Fußweg über die Zeitschneise, die 1999, als Weimar Europas Kulturhauptstadt war, durch den Wald geschlagen worden ist. Vom Schloss Ettersburg, dem Musensitz der Herzogin Anna Amalia, wo Schiller und Goethe zu Gast waren, geht es hinauf zum ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald.

Zu jenem Ort, über den der spanische Schriftsteller und Kulturpolitiker Jorge Semprún, der dort von 1943 bis zur Befreiung zwei Jahre später inhaftiert war, sarkastisch sagte, bald gebe es keine "störenden Zeugen mit lästigem Gedächtnis" mehr. Auch Semprún ist inzwischen tot, im Sommer des vergangenen Jahres ist er 87-jährig in Paris gestorben.

Aber die Zeitschneise ist noch begehbar, die Arbeit des Erinnerns wird weiter getan werden müssen. Das gebieten der Respekt vor den Opfern und das Wissen darum, in wessen Namen die Naziverbrechen begangen worden sind: Dem des deutschen Volkes, das zu großen Teilen zumindest stillschweigend hinnahm, was doch nicht hinnehmbar war, weil es Sturz aus der Zivilisation in die Barbarei bedeutete.

Unweit des Krematoriums mündet die Zeitschneise, dem Blick des Besuchers öffnet sich das karge Gelände. Grundrissartig sind die Orte erkennbar, auf denen die Häftlingsbaracken standen, davor der Appellplatz. Und über das Lager hinweg sieht man weit auf das liebliche Thüringer Land.

Bernd Kaufmann, der das Kulturstadtjahr in Weimar organisiert hatte und 2001 als Präsident der Weimarer Klassik-Stiftung ausschied, hatte sich seinerzeit mit dem Vorschlag verabschiedet, beide Orte, Schloss Ettersburg und die KZ-Gedenkstätte Buchenwald, auf die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufzunehmen.

Nun, mehr als zehn Jahre später, wollen sich der Freistaat Thüringen und die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora dafür einsetzen, dass das frühere Konzentrationslager, in dem insgesamt 250 000 Menschen aus ganz Europa inhaftiert waren und 56 000 von ihnen ihr Leben verloren, als Teil des Welterbes Anerkennung findet. Die Entscheidung ist mit einer klaren politischen Aussage verbunden. Von Buchenwald als einem "elementaren Zeugnis der nationalsozialistischen Verbrechen und der Geschichte des 20. Jahrhunderts" hat Thüringens Kultusminister Christoph Matschie gestern gesprochen und auf die "Gesamtbedeutung des Doppelortes Weimar-Buchenwald" hingewiesen, die man mit dem Antrag bei der Unesco nun unterstreichen wolle. In der Tat ist dieser Schritt nur logisch, nachdem die Stätten der Weimarer Klassik bereits zum Weltkulturerbe zählen.

Die Entscheidung, Buchenwald für das Welterbe vorzuschlagen, wird international, nicht allein bei den verbliebenen Überlebenden des Konzentrationslagers, zweifellos auf Wohlwollen und Genugtuung stoßen. Mindestens ebenso bedeutend wie dieser quasi außenpolitische Effekt wird aber die Wirkung auf die Deutschen selber sein - zumindest als kräftiger Denkanstoß. Seit Jahren haben sich nicht nur Neonazis im Lande breit gemacht, sondern auch eine schweigende Unterstützung in Teilen der Gesellschaft gefunden.

Man kommt aber, aller ideologischen Überformungen des Gedenkens an die Opfer zu DDR-Zeiten durchaus eingedenk, nicht umhin, sich den Untaten der Nazis und ihrer Helfer zu stellen. In diesem Sinne ist in der Gedenkstätte unter Leitung von Volkhard Knigge seit Jahren mit beispielloser Genauigkeit (und gegen beispiellose Widerstände) gearbeitet worden. Dass es dabei nicht darum geht, die Stadt Weimar ihrer klassischen Tradition zu entfremden, steht von Anbeginn der Arbeit außer Frage. Nur hat es eine Weile gedauert, bis das von allen politischen Akteuren auch begriffen worden ist.

"Ich war sehr oft an dieser Stelle. Hier fühlt man sich groß und frei", hat Johann Wolfgang von Goethe 1827 über jenen Ort geschwärmt, an dem 110 Jahre später das Konzentrationslager Buchenwald eingerichtet wurde, dem nach seiner Befreiung noch ein sowjetisches Speziallager nachfolgen sollte, in dem bis 1950 Tausende Menschen eingesperrt waren, viele von ihnen sind umgekommen. Ihrer wird in Buchenwald seit Jahren ebenfalls angemessen gedacht, beide Opfergruppen miteinander ins Gespräch zu bringen - auch dies ist ein Verdienst Volkhard Knigges.

Billiger ist der aufrechte Gang vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte nicht zu haben. Erinnern ist anstrengend, aber welche Zukunft sollte es ohne den Schmerz der Erinnerung geben - und ohne die Bereitschaft, Verantwortung für das Eigene zu übernehmen? Zu dem gehören neben der Weimarer Klassik selbstverständlich auch die Verbrechen der Nationalsozialisten. In diesem Sinne ist die Aufnahme der Gedenkstätte Buchenwald in das Welterbe gewiss nur ein formaler Akt - aber einer von jener Art, die auch Tatsachen schafft.