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Thüringen Thüringen: Erinnerung an den Meister des Kunstmärchens

Von Antje Lauschner 10.05.2010, 12:08
Ludwig Bechstein (1801-1860) wurde als unehelicher Sohn einesfranzösischen Emigranten in Weimar geboren und hieß zuerst Louis Dupontreau. 1810 adoptiert ihn sein Onkel, der Forstmann Johann Matthäus Bechstein. (FOTO: DPA)
Ludwig Bechstein (1801-1860) wurde als unehelicher Sohn einesfranzösischen Emigranten in Weimar geboren und hieß zuerst Louis Dupontreau. 1810 adoptiert ihn sein Onkel, der Forstmann Johann Matthäus Bechstein. (FOTO: DPA) B0100_Ullstein

Meiningen/dpa. - Fantasie, Ironie und Gesellschaftskritik sind die herausragenden Merkmale von Ludwig Bechstein (1801-1860).Damit war der Märchen- und Sagensammler zu Lebzeiten populärer als die Gebrüder Grimm. Nach seinem Tod am 14. Mai 1860 in Meiningen geriet er jedoch weitgehend in Vergessenheit. «Er war so typisch deutsch und zeitorientiert», begründet der Wuppertaler Volkskundler und Grimm-Forscher Heinz Rölleke diese Entwicklung. Zum 150. Todestag erinnert Thüringen an den vielseitigen Mann, der auch als Bibliothekar, Archivar und Apotheker sein Geld verdiente.

Bechsteins kritischer Blick auf die Gesellschaft lässt sich mitseiner Herkunft erklären. Er wird als unehelicher Sohn einesfranzösischen Emigranten unter dem Namen Louis Dupontreau in Weimar geboren. Damit war er «selbst ein Zurückgewiesener», erklärt Rölleken. «Als halber Franzose kannte er die soziale Schieflage der Menschen und Stände sehr gut.» 1810 adoptiert ihn sein Onkel, derForstmann Johann Matthäus Bechstein. Damit öffnen er dem Jungen denZugang zur Schule und später zu einer Apothekerlehre.

Als Bechstein 1828 seine ersten «Sonettenkränze» veröffentlicht,wird Herzog Bernhard von Sachsen-Meiningen auf den jungen Mannaufmerksam und finanziert ihm ein Studium der Philosophie, Geschichte und Literatur in Leipzig und München. Danach stellt er ihn als herzoglichen Kabinettsbibliothekar ein, später wird er Hofrat und gründet den «Hennebergischen altertumsforschenden Verein».

«Sein schönes Haus in Meiningen war berühmt wegen seines riesigen Weinkellers, Bechstein wegen seines ungeheuren Weinkonsums und seinerSchulden», erzählt Rölleken. Am Haus erinnert heute eine Gedenktafelan den Schriftsteller, dessen patriotische Lyrik und historischenErzählungen weitgehend vergessen sind.

Während Jacob (1785-1863) und Wilhelm (1786-1859) Grimm ihreVolksmärchen in der Regel so aufgeschrieben haben, wie sie ihnenerzählt wurden, hat Bechstein seine Märchen und Sagen «aus zweiterHand» oder schriftlichen Überlieferungen bezogen. So hat er auch ganzoffen 60 Märchen von den Grimms übernommen und überarbeitet. Werbeispielsweise «Hase und Igel», «Gevatter Tod» oder «Schlaraffenland»der Märchensammler nebeneinanderlegt, wird Bechsteins Tendenz zumKunstmärchen deutlich erkennen.

Eine der prägnantesten sozialkritischen Zuspitzungen Bechsteinsist laut Rölleke in «Der Gevatter Tod» zu lesen. Ein armer Mann suchteinen Paten für sein 13. Kind und trifft dabei auf Gott. Als sichGott zu erkennen gibt, lehnt der arme Mann die Hilfe ab: «So begehr'ich dich nicht zu Gevatter. Du gibst den Reichen und lässest denArmen hungern.» Bechstein, so der Grimm-Forscher, fügte noch hinzu:«Auf diese Rede wandte sich der Herr und ward nicht mehr gesehen.»

Meiningen erinnert seit 2001 jährlich mit einem Märchen- undSagenfest an den Sammler. Damit will Kulturwissenschaftler AndreasSeifert von den Meininger Museen auch die Forschung über den Dichteranregen. Er selbst hat einige Schriften auf regionale Besonderheitenuntersucht und ist fündig geworden. So hat Bechstein im «Meisterdieb» den «Hütes», den Thüringer Klößen, ein Denkmal gesetzt.