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Thomas Rosenlöcher Thomas Rosenlöcher: Schneemann aus Sachsen

Von CHRISTIAN EGER 12.01.2011, 19:19

WITTENBERG/MZ. - Thomas Rosenlöcher bescheinigt sich selbst eine "Blüten-Schnee-Macke". Offenkundig eine seltene Krankheit. Symptome? Zum Beispiel "Glücksbangigkeit beim Anblick eines blühenden Baumes". Oder Erschrecken angesichts eines "vom Schnee verwilderten Gartens". Erlebnisse, die dem Körper einen "Das kann doch nicht wahr sein!"-Seufzer entreißen. Die Ursachen dieser Erschütterung stehen Rosenlöcher vor dem Auge. Im Nachwort seiner jüngsten Gedichtauswahl "Das Flockenkarussell" zählt der Dichter auf: "Zu viele Kirschbaumalleen schon spurlos gen Himmel gezogen. Zu viele Winter schon schneelos vorbeigegangen. Zudem ist Schnee im Elbtal auch früher rar gewesen."

Rar ist der Schnee an diesem nasskalten Dienstagabend auch in Wittenberg, wohin der 63-jährige Schriftsteller als Gast der Lese- und Gesprächsreihe "Texturen der Erinnerung" an der Evangelischen Akademie gerufen wurde. Nicht aus dem Elbtal weg, aus dem der gebürtige Dresdner stammt, sondern vom hessischen Bergen-Enkheim aus, wo er ein Jahr lang als Stadtschreiber auszuhalten hat.

Den Schnee, der draußen fehlt, trägt Thomas Rosenlöcher im "Flockenkarussell"-Büchlein nach. Aus dem liest der kleine, ungezügelt grauhaarige Mann mit dem knielangen, kittelartigen schwarzen Sakko sofort. Blüten-Schnee. Flocken-Schnee. Engel-Schnee. Das pulvert, rieselt und glitzert im schönsten sächsischen Singsang. Rosenlöcher ist stets dort am besten, wo er leidenschaftlich ist, wo er staunt und streitet, das teilt sich immer mit. Eine Hingabe ans Weiße, Reine, Wahre waltet in den Versen, die als Obsession nicht falsch bezeichnet ist. Denn, schreibt Rosenlöcher: "Blüten und Schnee sind große Verwandler, utopisch noch im Moment des Erscheinens."

Das Anschauen der Welt geht da ins Weltanschauliche über. Das passt bestens, denn um zwei Stichworte soll dieser von dem Dichterkollegen und Mit-Dresdner Christian Lehnert moderierte Abend kreisen: das "Sächsische" und das "Politische" im Schaffen und Leben des studierten DDR-Betriebswirtschaftlers Thomas Rosenlöcher, der sich 1983 entschied, ein freier Schriftsteller zu werden - und der heute zu den bedeutendsten deutschen Autoren der Gegenwart zählt. Der debütierte 1982 im Mitteldeutschen Verlag in Halle mit dem Gedichtband "Ich lag im Garten bei Kleinzschachwitz".

Die Welt hinterm Gartenzaun aber war immer übergriffig: 1976 tritt Rosenlöcher in die SED ein und 1987 wieder aus, er erlebt die Implosion der DDR und eine neue, bis heute fortdauernde Nachdenklichkeit. Gern wird Rosenlöcher als "Idylliker" bezeichnet, was nur dann nicht falsch ist, wenn man das Idyllische als eine kunstvolle Dagegenhaltung begreift, die nie harmlos ist. Christian Lehnert sagt über Rosenlöcher, dass dieser sich unter den Zeitgenossen durch seine sinnfällige Herkunft heraushebe. Nicht, weil diese Herkunft im Osten liege, sondern weil es überhaupt eine kenntliche Herkunft ist. Das ist gut gesehen. Man will wissen, mit man es jeweils zu tun hat.

Ob er sich selbst als "sächsischer Dichter" begreife, will Lehnert von Rosenlöcher wissen. Dem gefällt schon der hochtönende Begriff "Dichter" nicht: "Aber man hört das Wort selbstverständlich gern", sagt er. Was das Sächsische betrifft: Bis zu seinem 25. Lebensjahr etwa sei ihm kaum bewusst gewesen, dass es auch Menschen gibt, die nicht Sächsisch sprechen. Rosenlöcher schätzt an dieser Sprache das Zugewandte, auch Hochpathetische und Idyllisierende. Letzteres werde heute voreilig geschmäht, ganz so, "als wenn jeder Idylliker ein Trottel wäre". Ihm erscheine es tendenziell als opportunistisch, wenn die Gegenwart nur als hässlich begriffen und beschrieben werden darf.

Idylle? Immer gern. Heimat? Weniger. "Mein Heimatgefühl ist seit den 80er Jahren ein widersprüchliches", sagt Rosenlöcher. "Ich wollte immer auch weg von dort, wo ich noch heute bin. Heimat ist kein Gemütlichkeitsbegriff. Was in der Heimat geschieht, geht einen viel zu sehr an." Was die Sachsen betreffe: Diese seien sehr oft "Tüftler und Einzelheitenmenschen", wie er selbst. Im Politischen kommt Rosenlöcher schnell auf die DDR zu sprechen und dass er damals "zu weich, zu ängstlich" gewesen sei. "Das Opportunismusproblem beschäftigt mich sehr. Die Frage: Wie soll ich mich verhalten?" Ja, wie? "Man muss sich fragen, was brauche ich wirklich?" Fremden Zwängen solle man sich entziehen: dem Karriere-Zwang etwa, der Pflicht zum Konsum. Besser sei es, die Dinge zu beherrschen statt sich von diesen beherrschen zu lassen.

Wie das gelingen kann, trägt Rosenlöcher mit dem "Flockenkarussell"-Nachwort vor. Das beschreibt das Wende-Ende des Kleinzschachwitzer Gartenidylls und wie dessen Apfelbaum, die "alte Kracke", fernab von Dresden neu eingewurzelt wurde. Ein gefälliges Stück poetisierender Prosa. Mit den Gedichten, sagt Rosenlöcher, habe es bei ihm "nachgelassen". Zeit fehle, der sinnliche Zugriff. "Es war für mich günstig, dass man in der DDR so viel mit der Hand abwaschen musste. Diese Riesenberge! Dabei fiel mir immer etwas ein." Noch indem man sie wieder abschafft, kann eine Spülmaschine hilfreich sein.

Nächste Veranstaltung in der Reihe "Texturen der Erinnerung": Lesung mit Ulrich Schacht, 22. März, 19.30 Uhr