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Thomas Bernhard Thomas Bernhard: «Das Maß der österreichischen Literatur»

07.02.2006, 07:55
Thomas Bernhard (Foto: dpa)
Thomas Bernhard (Foto: dpa) 3sat

Wien/dpa. - Bernhard, der am Donnerstag 75 Jahrealt würde, war stets Politikum und öffentliche Person. Auch fürheutige Kollegen ist er eine bleibende Größe. «Er ist das Maß derösterreichischen Literatur», urteilt die Nobelpreisträgerin ElfriedeJelinek: «Keiner wird je mit ihm mithalten können.»

Die heftigen öffentlichen Debatten, die er mit seinem Werkauslöste, gehörten zu Bernhards Persönlichkeit. Er war stetsderjenige, der Unterschwelliges ans Tageslicht zerrte, auf Missständeaufmerksam machte, den Streit zum literarischen Prinzip erhob. Inseinem Werk kontrastieren tiefe Menschenverachtung und Weltekel mitabgründigem, sich ins Groteske steigerndem Humor. Die Kritikcharakterisierte ihn schnell mit Beinamen wie «Antiheimatdichter» und«negativer Staatsdichter Österreichs».

Bernhard machte seine subjektive Lebenserfahrung zum Schlüssel fürseine literarische Welt. Schreiben wurde ein Akt der Selbsterkundung.Am 9. Februar 1931 in Holland als Sohn einer österreichischenHaushaltshilfe geboren, wuchs er in Pflegeheimen auf, ging später inInternaten zur Schule. Mit 18 Jahren erkrankte er an einerunheilbaren Lungenkrankheit, die sein Leben bestimmte.

In Gedichten und Prosatexten wie «Die Ursache. Eine Andeutung»oder «Der Keller. Eine Entziehung» beschrieb er die existenziellenMomente seiner eigenen Biografie. In eine Außenseiterrollehineingeboren, erfuhr das uneheliche Kind vom Vater Ablehnung, vonder Mutter Beschimpfungen. Die Zeit im Internat empfand er alsdemütigend. Seine Erziehung vollzog sich zwischen den Einflüsseneines provinziellen Katholizismus und dem doktrinärenNationalsozialismus.

Krankheit und Tod wurden zu zentralen Motiven in seiner Prosa,seine Dramen sind getragen von gesellschaftskritischem Impetus. DerGrundton seiner düsteren Schilderungen ist atemlos und getrieben,über weite Strecken absatzlos und monologisierend. BernhardsProtagonisten sind scheiternde und gescheiterte Existenzen, seelischeKrüppel in der Auseinandersetzung mit oft schweigenden, nurbeobachtenden und protokollierenden Gegenspielern.

Provokante Übertreibungen und polemische Hasstiraden bildeten balddie wesentlichen Stilelemente, für die er gefeiert und gegeißeltwurde. So nannte Carl Zuckmayer seine erste Romanpublikation «DerFrost» von 1963 eines der «aufwühlendsten und eindringlichstenProsawerke» seit Peter Weiss. Das Feuilleton feierte die brillanteAnalyse gesellschaftlicher Zustände. Im Regisseur Claus Peymann fandder rastlose Autor, der viele seiner Werke auf Reisen verfasste,einen Partner in seiner Lust an der Provokation.

Einer ersten Begegnung im Jahr 1972 in Salzburg folgte einefruchtbare Zusammenarbeit. Mit «Der Ignorant und der Wahnsinnige»,«Die Jagdgesellschaft» oder «Vor dem Ruhestand» schrieb das DuoBernhard/Peymann Theatergeschichte. Zum größten Skandal, aber auchzum großen Triumph entwickelte sich die Uraufführung des Stücks«Heldenplatz» im November 1988, wenige Monate vor Bernhards Tod imFebruar 1989.

Erst Jahre nach seinem Tod begann eine tiefere, sich von aktuellerAufregung befreiende Auseinandersetzung mit Bernhard. Ausstellungenund neue Inszenierungen, die nach der Aufhebung seinesAufführungsverbotes durch die Thomas-Bernhard-Gesellschaft 2001möglich wurden, leiteten eine neue Begegnung mit dem Autor ein.Bernhards zentrale Position in der österreichischenNachkriegsliteratur wurde dadurch weiter bekräftigt.